Smart City: Barcelona will erste sich selbst versorgende Stadt werden

"Das Internet hat unser Leben verändert, aber noch nicht unsere Städte": Ziel der katalanischen Kommune sei es, Energie, Dinge und Nahrungsmittel lokal zu produzieren sowie ein "Städte-Protokoll" zu entwickeln, erklärte Chefarchitekt Vicente Guallart.

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Barcelona will die erste sich mit Fabrikationslabors selbst versorgende Kommune mit möglichst wenig Ausstoß von Treibhausgasen werden. Dieses Ziel gab der Chefarchitekt der katalanischen Stadt, Vicente Guallart, auf dem Smart City World Congress am Mittwoch bekannt. "Das Internet hat unser Leben verändert, aber noch nicht unsere Städte", befand der Planer. Es sei daher an der Zeit, ein Transformationsmodell mit Mehrwert zu finden. Die künftige Stadt müsse Energie, Dinge und Nahrungsmittel lokal produzieren, während sie Daten global teile.

Barcelonas Chefarchitekt Vicente Guallart: "Das Internet hat unser Leben verändert, aber noch nicht unsere Städte."

(Bild: Stefan Krempl / heise online)

In der Stadt am Mittelmeer sei 1859 die Urbanität erfunden worden, führte Guallart aus. Derzeit bestehe eine Kommune aus fünf weitgehend getrennt arbeitenden Netzwerken, zu denen er die Kreisläufe von Informationen, Wasser, Materie (von der Einfuhr bis zur Müllhalde), Energie und Mobilität zählte. Es gehe nun darum, diese Systeme mit einem "Städte-Protokoll" im Anklang an das Internetprotokoll kompatibel miteinander zu machen. Der übergeordnete Standard solle von einer nicht profitorientierten Organisation entwickelt und verwaltet werden, vergleichbar zu den grundlegenden Steuergremien des Internets. Enthalten sein sollten "Parameter einer gut organisierten Stadt".

Barcelona selbst habe gerade einen entsprechenden Plan für die nächsten 40 bis 50 Jahre verabschiedet, betonte der Urbanitätsexperte. Die Verwaltung wolle zunächst einen "Smart City Campus" im "Diagonale-Entwicklungszentrum" am nördlichen Stadtrand einrichten. Gemeinsam mit einem neuen Forschungsinstitut für Städtewirtschaft solle es unter anderem Modelle erarbeiten, wie bislang nicht genutzte Dachböden in "Fab Labs" umgewandelt werden könnten. Darunter versteht man Einrichtungen, in denen Gegenstände am Rechner entworfen und an "Rapid Manufacturing"-Maschinen Schicht für Schicht gleichsam ausgedruckt werden. Zugleich soll nach Guallarts Vision jedes Haus als Knoten im Städtenetz fungieren. Übergeordnet sein solle ein "Netzwerk an Städten, die Dinge selbst erschaffen". Man sei hier derzeit auf Partnersuche.

Das Center of Bits and Atoms am Massachusetts Institute of Technology (MIT) unterstützt das Vorhaben der Katalanen. Heute kämen physische Güter tonnenweise in Containern in Städten an, wo sie ihre Bewohner in Müll verwandelten, erklärte Neil Gershenfeld, der Direktor der Forschungseinrichtung, in Barcelona. Künftig sollten Kommunen die von ihnen benötigten Produkte selbst herstellen und verbrauchen. Ermöglicht werde dies durch eine "neue industrielle Revolution", in der sich die Digitalisierung auch auf die Güterherstellung auswirke und die Produktionsmittel selbst ihren Wert verlören. Jeder könne jedes am Computer gestaltete Konstrukt "on demand" herstellen. "Fab Labs" würden so Bestandteil der "nationalen Infrastruktur".

Ein erstes Fabrikationslabor mit "3D-Druckern" gibt es in Barcelona bereits. Es erhielt im vergangenen Jahr eine Auszeichnung für das erste per Rapid-Fertigung erstellte Solarhaus. Weltweit existieren laut Gershenfeld mittlerweile über 100 Fab Labs, in denen man auch Ausbildungsprogramme absolvieren könne. Künftig sollten sie über eine Stiftung verwaltet werden, damit sich das Center of Bits and Atoms wieder auf seine Forschungsarbeit konzentrieren könne. Hier hat Gershenfeld noch viel vor. In 20 Jahren möchte er so die Biologie mit den Ingenieurswissenschaften verknüpft wissen. Code verwandele sich dann von selbst in Objekte und es gebe programmierbare Objekte, gab der Physiker einen Ausblick. Der aus "Star Trek" bekannte "Replikator" sei dann Wirklichkeit". Die Biologie sei dann so verändert, dass Gegenstände wie Toaster von sich aus "wachsen" könnten.

Schon in zwei Jahren sei die Forschung so weit, erläuterte Gershenfeld, dass Maschinen ihre eigenen Bauteile und andere Maschinen produzieren könnten. In fünf Jahren gebe es eine Art Mikro-Legosteine, um funktionale Systeme aufzubauen. Dies sei der Zeitpunkt, in dem es keinen Müll mehr gebe, sondern alle materiellen Bestandteile wieder verwendbar seien.

Vor einer Zukunft, in der sich Roboter selbst produzieren und dem Menschen gefährlich werden könnten, fürchtet sich der US-Amerikaner nicht. Die Reproduktion von Dingen gerät seiner Ansicht nach nicht außer Kontrolle, da die Zufuhr von Rohmaterialien vom Menschen allein gesteuert werde. Die Technologie sei zudem dafür da, sich persönliche Wünsche zu erfüllen. Wer auf Dinge aus sei, die Menschen verletzen oder töten könnten, sei mit dem heute verfügbaren Waffenarsenal bereits ausreichend und günstiger bedient. (jk)