Grüne erwarten Renaissance des Datenschutzes

Die Innenexpertin der Grünen im Bundestag, Silke Stokar, sieht bei Überwachungsmaßnahmen Grenzen bei der Akzeptanz und der technischen Sinnigkeit erreicht. Sie will mit einem Positionspapier den Boden für Reformen bereiten.

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Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Silke Stokar, sieht bei Überwachungsmaßnahmen Grenzen bei der Akzeptanz und der technischen Sinnigkeit angesichts der Hortung nicht mehr auswertbarer Datenhalden erreicht. Sie will daher mit einem am heutigen Freitag in Berlin vorgestellten Positionspapier den Boden für eine gesetzgeberische Reform des Datenschutzes bereiten. "Wir bekommen zunehmend Anfragen zu dem Thema", berichtete die Innenexpertin bei einem Pressegespräch von einem sich abzeichnenden Gesinnungswandel rund um den Schutz der Privatsphäre. "Viele sagen, das geht mir jetzt allmählich zu weit."

Die Menschen wollen es Stokar zufolge nicht, "dreihundert mal am Tag elektronisch erfasst, gespeichert und ausgewertet zu werden." Es dringe etwa mit der pauschalen Erfassung von Autokennzeichen in einzelnen Bundesländern oder der permanenten Ortungspflicht für Lkw-Fahrer per Handy langsam ins öffentliche Bewusstsein, dass der "gläserne Mensch" technisch machbar sei. Es gebe daher eine wachsende Erwartungshaltung an die Politik, "Grenzen zu setzen". Insgesamt sieht die Grüne vermehrt Anzeichen dafür, "dass die Abwehr gegen den Datenschutz allmählich aufbricht."

Stokar ist optimistisch, auch in Teilen der Wirtschaft Bündnispartner für eine Modernisierung des Datenschutzes zu finden. Gerade bei den Klein- und Mittelbetrieben fange der Aspekt an, eine Rolle zu spielen. "Die wollen Verlässlichkeit im wirtschaftlichen Handeln und den Rahmen kennen", ist sich die Grüne sicher. Aufgrund zahlreicher Probleme beim Online-Shopping und -Banking wachse schlicht der Druck der Kunden, die ihre Daten gut verwahrt wissen wollen. Hier könnte ein gesetzlich klar geregeltes Datenschutz-Audit helfen, das bisherige "Wirrwarr" an vermeintlich verlässlichen Gütesiegeln zu lichten und den Verbrauchern eine bessere Information über die Einhaltung klarer Regeln zu geben.

Der Bundesregierung und der "großen Anti-Datenschutz-Koalition" wirft die Grüne Konzeptlosigkeit vor, was gerade angesichts der deutschen EU-Ratspräsidentschaft prekär sei. In den bisherigen Verlautbarungen zum Arbeitsprogramm sei nur von der Vernetzung nationaler Datenbanken im Strafverfolgungsbereich die Rede. "Ohne harmonisierte EU-Standards zum Datenschutz soll der Vertrag von Prüm in den Rechtsrahmen der Europäischen Union überführt werden", heißt es dazu in dem Papier. "Sensible Daten wie DNA-Daten oder Fingerabdrücke geraten so schutzlos auf die globale Datenautobahn." Zur Wiederherstellung des Grundrechtsschutz bei der umstrittenen Weitergabe von Fluggastdaten durch die Fluggesellschaften oder Finanzdaten durch die Society for Worldwide Interbank Financial (SWIFT) an US-Geheimdienste schweige sich die Regierung dagegen aus. Die viel zitierte internationale Datenautobahn werde so immer mehr zur "informationellen Einbahnstraße in die USA". Mit entsprechenden Anträgen wollen die Grünen Schwarz-Rot hier unter Druck setzen.

"Peinlich" wäre es laut der Innenpolitikerin zudem für die Bundesregierung, wenn Brüssel just unter der eigenen EU-Führung ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland durchbringe und es zu einer Strafzahlung komme, weil hierzulande die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten immer noch nicht verwirklicht ist. Auch die Aussperrung von Datenschutzexperten beim IT-Gipfel Ende vergangenen Jahres gebe Anlass zu der Befürchtung, dass Deutschland "eine globale Entwicklung verschläft". Die Bundesregierung handele anscheinend weiterhin in dem "Irrglauben, Datenschutz sei ein Hemmnis für wirtschaftliche Entwicklung."

Auch anderweitig sieht Stokar im nationalen Bereich in vielen Punkten den Rubikon überschritten. So gebe es etwa in allen Fraktionen Bedenken bei der vom Bundesjustizministerium geplanten Einführung einer sechsmonatigen anlassunabhängigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten. Für die Grüne selbst würde es sich dabei um einen "unfassbaren Eingriff in den Datenschutz" handeln, bei dem die Verfassungswidrigkeit auf der Hand läge. Eine solche verdachtlose "Totalüberwachung der elektronischen Kommunikation" sei völlig unverhältnismäßig und mit keinem Strafverfolgungszweck begründbar. Stokar begrüßte es daher, dass sich Anfang der Woche [ticker:8403327 Verbände gegen die Vorratsdatenspeicherung zusammengeschlossen] haben.

Eine Missachtung des Grundgesetzes würde der Innenpolitiker zufolge auch mit der Verwirklichung der Pläne des Bundesinnenministeriums zu heimlichen Online-Durchsuchungen einhergehen. Es sei rechtswidrig, "wenn der Staat mit Hacker-Software in PCs eindringt." Derlei Übergriffe seien nicht mit einer Hausdurchsuchung vergleichbar, da "heimlich im PC gesurft und unendlich viele Informationen abgegriffen werden könnten". Mit einer Ausweitung des Fernmeldegeheimnisses zu einem Mediennutzungsgeheimnis müsste die elektronische Kommunikation generell vor anlassloser Überwachung geschützt werden, bezog Stokar auch gegen den ebenfalls vom Innenministerium vorangetriebenen Ausbau der "anlassunabhängigen Internetüberwachung" Stellung. Ebenfalls zurückgedrängt werden müsse die Einführung eines stärker zentralisierten Melderegisters, bei denen die Einwohnermeldeämter zu "Zapfsäulen für Sicherheitsbehörden" verkämen.

Das Papier, das laut Stokar als Grundlage für eine öffentliche Debatte und für ein Beschlusspapier der Fraktion dienen soll, enthält zahlreiche weitere Punkte wie die Stärkung des informationellen Selbstbestimmungsrechts, die ausdrückliche Verankerung des Datenschutzes in der Verfassung, die Aufstellung von Regeln für den Einsatz von RFID-Funkchips oder von Scoring-Verfahren zur Bemessung der Kreditwürdigkeit. Informationspflichten nicht-öffentlicher Stellen bei Datenpannen sollen eingeführt, die überhand nehmenden Zugriffe auf Konten und Steuerdaten sowie der Wildwuchs beim Telefonabhören klar begrenzt, der Arbeitnehmerdatenschutz verbessert und die Videoüberwachung zielgerecht gehalten werden.

Elektronische Kameraaugen an Flugplätzen und Bahnhöfen könnten "ein sinnvolles Instrument sein, um Täter zu identifizieren", wandte sich Stokar nicht prinzipiell gegen moderne Fahndungstechniken. Gleichzeitig beklagte sie aber, dass die Deutsche Bahn billige Kameras mit "1-Pixel-Auflösung" gekauft habe, die größtenteils ungeeignet für Strafverfolgungszwecke seien. Strikt sprach sich die Grüne zudem gegen eine "flächendeckende Videoüberwachung" sowie eine Verknüpfung mit Methoden zur biometrischen Gesichtserkennung zum andauernden Abgleich mit Fahndungsdateien aus, wie vom Bundeskriminalamt gerade am Mainzer Hauptbahnhof experimentell vorexerziert. Dies käme einem "Generalverdacht gegen alle" gleich.

Als einen der wichtigsten Bereiche führt das Diskussionsfundament einen neuen Anlauf zur Reform des Bundesdatenschutzgesetzes an. Dieses aus dem Jahr 1977 stammende Werk muss gemäß Stokar – gegebenenfalls in Teilschritten – in verständliche Sprache übersetzt, entrümpelt und gebündelt werden, wobei zugleich Fehlendes zu ergänzen sei. Das bereits 2001 vorgelegte so genannte Professorengutachten könne dabei eine gute Voraussetzung bilden für eine neue parlamentarische Initiative. Die Grünen seien während ihrer Regierungszeit in der Frage dieses Modernisierungsvorhabens insbesondere "an der SPD-Fraktion gescheitert", beklagte die Innenexpertin. Es habe dort keine Bereitschaft gegeben, auch nur entsprechende Besprechungstermine anzusetzen. "Derlei Themen brauchen Zeit", zeigt sich Stokar in dieser Hinsicht inzwischen zuversichtlicher und verweist auf Entgegenkommen bei den Wirtschaftspolitikern der Union und der FDP. (Stefan Krempl) / (jk)