Bundesregierung: Nachrichtendienstliche Überwachung von Abgeordneten ist "grundsätzlich zulässig"

Die im Büro eines Bundestagsabgeordneten und Mitglieds des BND-Untersuchungsausschusses gefundenen Mikrofone wurden irrigerweise als "Abhörskandal" behandelt.

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Von
  • Florian Rötzer

Als sich der Fall Kurnaz letzte Woche im BND-Bundestagsausschuss zuspitzte und es immer deutlicher wurde, dass der damalige Kanzleramtsleiter der rot-grünen Regierung und jetzige Außenminister Frank-Walter Steinmeier direkt mit verantwortlich gewesen ist, dass der keines Vergehens verdächtige, in Bremen geborene Türke weitere vier Jahre in Guantanamo eingesperrt bleiben musste, wurden bei einem Bundestagsabgeordneten Mikrofone entdeckt. Zufällig hatte ein Fernsehteam im Büro von Wolfgang Neskovic, einem Abgeordneten der Linkspartei und Mitglied des Untersuchungsausschusses für manche dubiose Geheimdienstaktivitäten sowie des geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums, ein Mikrofon gefunden. Kurz darauf wurde ein zweites entdeckt.

Schnell war die Rede von einem "Abhörskandal", bis sich herausstellte, dass es sich um handelsübliche Mikrofone handelte, die offenbar zum Abhören nicht geeignet waren. Ebenso schnell, wie die Aufregung über den zunächst vermuteten Lauschangriff auf einen Abgeordneten hochgekocht war, hat sie sich auch wieder gelegt.

Wer die Mikrofone bei dem Abgeordneten, einem ehemaligen Richter, und zu welchem Zweck angebracht hat, ist weiterhin unklar. Allerdings wäre zumindest nach der Bundesregierung das Abhören von Abgeordneten durch den Geheimdienst ganz in Ordnung gewesen. Erst am 22.12.2006 hatte die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei nach der Rechtsgrundlage für die Überwachung von Abgeordneten geantwortet.

Die Regierung beruft sich auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages für den Ältestenrat vom Mai 2006, nach dem "eine Beobachtung von Abgeordneten bzw. der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nur dann unzulässig ist, wenn die Funktionsfähigkeit des Parlaments bzw. die innerparlamentarischen Statusrechte des Abgeordneten beeinträchtigt werden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden auf die parlamentarische Willensbildung bzw. die parlamentarische Tätigkeit des Abgeordneten als solche direkt oder indirekt Einfluss nehmen würde (z. B. Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens oder der Redebeiträge). Vorbehaltlich solcher statusbeeinträchtigender Rechtswirkungen auf die verfassungsmäßigen Rechte nach den Artikeln 46 und 38 GG ist eine Beobachtung von Abgeordneten grundsätzlich zulässig."

Bundesaußenminister Steinmeier wird vermutlich im März vor dem BND-Untersuchungsausschuss über den Fall Kurnaz aussagen. Der im August 2006 nach Deutschland Entlassene war noch monatelang vom BND beobachtet worden – nun aber, weil man glaubte, dass er durch seine lange Gefangenschaft und die damit einhergehenden Misshandlungen radikalisiert worden sein könnte. Nach Regierungsakten, die tagesschau.de vorliegen, scheint mittlerweile belegt zu sein, dass sich die Präsidentenrunde im Kanzleramt seit Januar 2002 regelmäßig mit dem Fall Kurnaz beschäftigt und sich im Oktober 2002 für eine Einreisesperre entschieden hat, "obwohl Bundesnachrichtendienst und Bundesverfassungsschutz von Kurnaz' Unschuld nachweislich überzeugt waren". An diesem Treffen hatte auch Steinmeier teilgenommen, wie ein Sprecher des Außenministeriums inzwischen bestätigt hat.

Siehe dazu auch in Telepolis:

(fr)