Angst vor dem "Cyber-Industriellen Komplex"

Experten warnen davor, dass die zunehmende Verbreitung von Überwachungstechnik nicht nur autoritären Regimen nutzt. Sie führe auch demokratische Regierungen in Versuchung, ihre Bürger zu bespitzeln.

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Als Wikileaks kürzlich wieder einmal brisante Dokumente veröffentlichte, wurden diese gleich als Beleg für eine "geheime neue Industrie" der Massenüberwachung apostrophiert. Nun mag man gegen derart hochtrabende Formulierungen der Whistleblower-Plattform zwar schon abgestumpft sein. Das Material hat es aber tatsächlich in sich, schreibt Technology Review in einer aktuellen Analyse zum Thema. Denn es zeigt nicht nur, wie leicht unsere Online-Aktivitäten ausgespäht werden können. Polizeibehörden und Regierungen haben inzwischen auch eine reiche Auswahl an Produkten, mit denen sie sich alle erdenklichen Informationen über uns beschaffen können.

Durchschnittsnutzer sollten sich einer unangenehmen Erkenntnis stellen: All die gängigen Schutzvorkehrungen für Privatsphäre und Sicherheit – darunter Kennwörter oder Verschlüsselungswerkzeuge – sind kaum noch ein Hindernis für den "Cyber-Industriellen Komplex", wie es ein Forscher nennt. "Gegen eine von oberster Ebene betriebene staatliche Überwachung kann kein Computersystem wirklich die Privatsphäre schützen", stellt Radu Sion fest. Der Informatiker leitet das Network Security and Applied Cryptography Laboratory an der Stony Brook University im US-Bundesstaat New York. Je komplexer Computersysteme würden und je mehr Komponenten von verschiedenen Zulieferern kämen, desto mehr Schwachstellen gebe es, die Angreifer und Überwacher ausnutzen können, sagt Sion.

Ron Deibert, Direktor der Internet-Denkfabrik Citizen Lab an der University of Toronto, untersucht seit Jahren die weltweite Verbreitung solcher Technologien und ihren Einsatz durch Regierungen. Im Angebot seien die Analyse sozialer Netzwerke, die Ortung von Handys oder die Deep Packet Inspection, mit der die im Netz verschickten Datenpakete abgefangen und inhaltlich ausgewertet werden. Wenn das Internet in alle Lebensbereiche einzieht, fallen immer mehr Daten über Personen, Unternehmen und Länder an. "Kein Wunder, dass um die kommerzielle Verwertung dieser Daten ein massiver Cyber-Industrieller Komplex sprießt", meint Deibert.

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(bsc)