Die "Sonne" vor Fukushima

Martin Kölling, der Journalist aus Tokio, spricht mit Martin Kölling, dem Geochemiker vom Forschungszentrum Marum in Bremen, über eines der spannendsten Projekte der Ozeanforschung im kommenden Jahr.

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  • Martin Kölling

Martin Kölling, der Journalist aus Tokio, spricht mit Martin Kölling, dem Geochemiker vom Forschungszentrum Marum in Bremen, über eines der spannendsten Projekte der Ozeanforschung im kommenden Jahr.

Es gibt Dinge im Leben eines Journalisten, die man einfach tun muss. Und einer dieser Zwänge ist für mich ein Interview mit meinem Namensvetter Martin Kölling in unserer gemeinsamen Geburtsstadt Bremen. Ein Interview und kein Gespräch unter vier Augen deshalb, weil das Arbeitsgebiet von Martin Kölling vom Marum an der Universität Bremen genau auch in mein Berichtsgebiet fällt: Er ist Geochemiker und am "Integrated Ocean Drilling Program" (IODP) beteiligt.

Dies ist nicht nur spannend, weil ein Drittel der Bohrkerne der Welt in Bremen gelagert sind – darunter ein faszinierender Schnitt durch den Bohrkern 1049B, der die Kreide/Terziär-Grenze zeigt. Das ist die Schicht, die nach Meinung einiger Forscher ein Meteoriteneinschlag vor 65 Millionen Jahren gebildet haben soll. Danach glaubt man gerne, dass dadurch die Dinosaurier und mehr als drei Viertel des sonstigen irdischen Lebens ausgelöscht worden sein könnten (Fotos des Bohrkerns hier).

Außerdem wird das Marum 2012 auch an einer höchst ungewöhnlichen Hilfsaktion beteiligt sein: Quasi zum Jahrestag des Mega-Bebens vom 11. März wird das deutsche Forschungsschiff "Sonne" vor der Küste von Fukushima in zwei Touren die Erdbebenzone kartographieren und erforschen, die den zerstörerischen Mega-Tsunami ausgelöst hat.

Für Martin Kölling und seine Kollegen in der Welt und insbesondere in Japan ist die Forschungstour eine einmalige Chance. Noch nie konnte eine so gut erforschte Region wie die vor Japans Nordosten direkt nach einem Mega-Erdbeben wieder untersucht werden. "Wir können so die neuen Messungen mit denen von japanischen Teams aus dem Jahr 1999 vergleichen", sagt mein Namensvetter, in geologischen Zeiträumen gemessen sei das ein Wimpernschlag. Dementsprechend groß ist die Erwartungshaltung, durch die Mission neue Erkenntnisse über die Entstehung von Tsunamis und die Erdbebenforschung gewinnen zu können. Dass die Deutschen aushelfen, liegt daran, dass viele japanische Schiffe derzeit mit dem Messen von Radioaktivität aus den Meilern beschäftigt sind, erklärt Kölling, der Geochemiker. Japans megateures und megagroßes Tiefseebohrschiff Chikyu hat erst im April Zeit.

In der ersten Runde wird das Forschungsschiff "Sonne" dabei voraussichtlich ab dem 8. März den früher erfassten Seeboden neu vermessen und Erdbebensensoren zu heben versuchen. Dabei kommt der Bremer liebstes Spielzeug zum Einsatz: Der ferngelenkte Tauchroboter (ROV) "Quest", sowie das neue AUV (Automated Underwater Vehicle), ein kanarienvogelgelber Torpedo, der laut Bedienungsanleitung 5000 Meter tief tauchen können soll. Besonders auf dem ruht das Augenmerk, denn es soll nur wenige Dutzend Meter über dem Seeboden entlang gleiten und damit weit hochauflösendere Bilder liefern, als es je vom Schiff aus möglich wäre. Darüber hinaus soll die Region seismisch vermessen werden. Nur das "MeBo", ein Tiefseebohrgerät, soll wohl zuhause bleiben.

Kölling, wohnhaft in Bremen, wird erst in der zweiten Tour Gelegenheit haben, Kölling, wohnhaft in Tokio, wieder die Hand zu schütteln. Denn dann sind seine Spezialkenntnisse gefragt, die Untersuchung von Bodenproben. Genauer gesagt zapft er den Kernen mit einer Kanüle Porenwasser ab, das dann weiter untersucht werden kann. Richtig gebohrt werden soll zwar nicht, aber es werden mit einem Schwerelot Stechkerne aus den Sedimenten in der Falte genommen und untersucht. Aber auch das AUV wird wieder zum Einsatz kommen.

Seit ich Japans Bohrschiff Chikyu besucht habe, ist mir erst bewusst geworden, wie wichtig diese Tauchgänge sind. Denn auch auf meiner mental-medialen Landkarte standen die Tiefenforscher lange im Schatten der Raumfahrer. Das ist nicht ganz fair, denn offenbar ist es sehr viel leichter, Raketen und Satelliten ins All zu schießen oder eine bemannte Raumstation zu unterhalten, als Vergleichbares mehrere tausend Meter unter dem Meeresspiegel zu leisten. Dabei geht es bei der Erforschung der Meere und ihrer Sedimente weit konkreter um unser Leben und Überleben auf der Erde als bei der Erforschung des Alls. Die Sedimente der Ozeane seien das beste Archiv der Geschichte der Welt, sagt Kölling.

Nur ist das Tauchen nicht so sexy wie das Fliegen. Die Vorstellung, wie Captain Kirk überlichtschnell durchs Vakuum zu düsen, fasziniert mehr Menschen als das Bild von Captain Nemo, der sich langsam durch dunkle Tiefseegewässer arbeitete. Daher werden wohl gerne gerade in der Tiefseeforschung Gelder gestrichen und Projekte gestreckt. Es gibt allerdings einen Hoffnungsschimmer: Die USA werden sich wohl doch nicht – wie kürzlich noch spekuliert – aus dem Forschungsprogramm IODP verabschieden.

2013 startet dann die nächste Phase des Programms. Und Martin Kölling, Sie wissen schon, der Geochemiker, hat vielleicht einen wichtigen Beitrag geleistet – zur Namensgebung. Jahrelang hat er sich darüber lustig gemacht, dass der Name "Ozean-Bohrung" recht widersinnig sei, da man ja nicht den Ozean anbohre. Er wurde wohl erhört: IODP wird künftig für "International Ocean Discovery Projekt" stehen, nicht mehr "Integrated" und "Drilling". Hoffentlich wird der neue Name auch neue Phantasien wecken und mehr Geld für die Forschung freischlagen. Warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah.

Zum Abschluss eine Anregung: vielleicht sollte der Bohrkern 1049B (oder ein Teil des Kerns) eingeschreint und im Foyer des Marum ausgestellt werden – als Zeichen der Hoffnung gegen alle Weltuntergangsängste. So schlimm es auch kommt, es ist nicht das Ende der Welt. (bsc)