Die Kurmaschine

Mit Spezial-Transportbehältern für Herzen und Lungen lassen sich schwache Spenderorgane viel länger am Leben erhalten und sogar gesund pflegen.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Mit Spezial-Transportbehältern für Herzen und Lungen lassen sich schwache Spenderorgane viel länger am Leben erhalten und sogar gesund pflegen.

Organe verrichten ihren Dienst normalerweise gut geschützt im Körper, von nährstoff- und sauerstoffreichem Blut versorgt. Werden sie aber zur Transplantation entnommen, beginnt die Uhr zu ticken: Denn mangels Blutversorgung fehlen ihnen die Nahrung und der Gasaustausch, wodurch die Zellen des Organs geschädigt werden. Der Transport auf Eis kann dies zwar ein paar Stunden verlangsamen, aber nicht gänzlich aufhalten. Spätestens nach vier Stunden müssen Herz und Lunge wieder eingesetzt werden; eine Leber hat sechs bis acht, eine Niere 12 bis 24 Stunden Zeit.

Das US-Medizintechnik-Unternehmen TransMedics hat deshalb mobile Versorgungsbehälter entwickelt, die das Zeitfenster deutlich erweitern. Darüber hinaus sollen sie auch erlauben, zu schwache und bisher nicht verwendbare Spenderorgane für eine Transplantation fit zu machen. Künftig könnten sie sogar Therapien für vorübergehend entnommene Organe ermöglichen, die etwa bei Krebs sonst nicht möglich wären.

In den speziell eingerichteten Kammern des sogenannten "Organ Care System" (OCS), das etwa die Größe eines Schreibtisch-Rollcontainers hat, werden die Organe wie im Körper mit allem versorgt, was sie benötigen. Auf diese Weise bleiben sie funktionstüchtig: Herzen lassen sich schlagend und Lungen unter Beatmung transportieren. Weitere Transportkammern für Leber und Niere sollen folgen.

Das OCS soll helfen, die Zahl der Transplantationen deutlich zu steigern. Das wäre auch dringend nötig, denn die Nachfrage nach Spenderorganen übersteigt das Angebot bei Weitem. In Deutschland warten laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation etwa 12000 Patienten auf ein Spenderorgan, doch nur jeder Dritte erhält tatsächlich eines. Am häufigsten sind Patienten auf eine lebensrettende Niere angewiesen (fast 8000), danach folgen jene, die eine Leber (2100), ein Herz (900) oder eine Lunge (600) benötigen.

Laut Waleed Hassanein, Geschäftsführer von TransMedics, bleiben bisher allerdings 70 Prozent der Spenderherzen und 80 Prozent der Spenderlungen ungenutzt: Für sie findet sich entweder kein geeigneter Empfänger in verfügbarer Reichweite; oder die Organe sind für den erneuten Einsatz nicht kräftig genug. Seinen Angaben zufolge verdreifachen das Herz- und das Lungen-OCS das Zeitfenster auf mehr als zwölf Stunden – und den Transportradius entsprechend.

Die Kammer – spezialisiert entweder auf den Herz- oder den Lungentransport – funktioniert zunächst wie eine kleine Intensivstation: Sie schirmt das Organ vor Keimen ab und durchströmt es mit körperwarm temperiertem sowie mit Sauerstoff und Nährstoffen angereichertem Blut. Parallel dazu überwacht das System die Vitalwerte des Organs: beim Herz zum Beispiel die Schlagfrequenz, den Blutdruck in der Hauptschlagader sowie die Durchblutung der Koronargefäße, die das Herz versorgen. Bei der Lunge geben die Blutgaswerte für Sauerstoff und CO2 Aufschluss über den Zustand des Organs.

Das OCS kann aber sozusagen auch als Kurort fungieren: Wenn Spenderorgane geschwächt sind, weil sie im Körper nicht mehr ausreichend versorgt wurden, lassen sie sich laut Hassanein in vielen Fällen wieder aufpäppeln. Wurde etwa ein Spender vor seinem Tod künstlich beatmet, ist seine Lunge häufig angeschlagen. Denn Beatmungsgeräte schaffen es meist nicht, das Organ bis in die feinsten Verästelungen der Bronchien ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Die TransMedics-Kammer habe damit keine Probleme, sagt Hassanein: "Die Organe sehen oft nicht gut aus, wenn sie entnommen werden. Aber nach vier Stunden im OCS haben sie wieder überall eine gesunde, rosige Farbe." Zuerst ermittelt das System den Gesundheitszustand des Organs, um ihm dann eine spezielle Schutzbeatmung angedeihen zu lassen. Auch Herzen können sich im OCS erholen – oft auch dann, wenn nach dem Hirntod problematische biochemische Prozesse angelaufen sind, die das Organ belasten.

Die OCS für Herz und Lunge sind in Europa und Australien bereits kommerziell erhältlich. Allerdings ist ihr Einsatz ein teures Vergnügen: Die Kosten eines Gerätes belaufen sich auf 175000 Euro, davon entfallen bis zu 40000 Euro auf die Versorgungskammern. Dagegen schlagen die Transportkosten der etablierten Kühlmethode nur mit wenigen Tausend Euro zu Buche. Doch auf Betreiben des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft soll nun untersucht werden, ob sich das OCS nicht trotzdem lohnt – ob tatsächlich mehr Organe verpflanzt werden und ob mit OCS-Hilfe gerettete Patienten weniger Komplikationen erleiden und länger überleben.

Dadurch würden die Pflegekosten vor und nach der Transplantation sinken. Seit Oktober 2011 steht die Finanzierung einer zweijährigen Studie, die an einer ganzen Reihe von deutschen Herzzentren durchgeführt werden soll. Von ihren Ergebnissen wird es abhängen, ob die gesetzlichen Krankenkassen anschließend die Finanzierung der Geräte zunächst bei Herztransplantationen übernehmen.

Hassanein denkt bereits über weitere Einsatzgebiete des OCS jenseits von Transplantationen nach, die auf den ersten Blick recht radikal klingen: Mit dem System ließen sich etwa auch – vorübergehend entnommene – Lungen von Krebspatienten mit größeren Dosen an Chemotherapeutika behandeln, als es im Körper möglich wäre. Auf diese Weise, so die Hoffnung, könnten Tumore effektiver bekämpft und großflächige Nebenwirkungen vermieden werden.

Darüber hinaus sei in besonders schwierigen Fällen von Lungenentzündungen, die auf traditionelle Weise nicht in den Griff zu kriegen sind, auch eine extrakorporale Behandlung mit Antibiotika zu überlegen. In beiden Fällen käme das Organ – nach sorgfältigem Ausspülen der Medikamente – wieder an seinen Platz zurück. Diese Einsätze des OCS müssen aber noch genau erforscht und ethisch bewertet werden. (vsz)