Kompliziert statt smart

Dem intelligenten Stromnetz – dem sogenannten Smart Grid – gehört die Zukunft, aber nicht die Gegenwart. Für viele Verbraucher lohnt sich der Umstieg noch nicht.

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Von
  • Boris Hänßler
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Dem intelligenten Stromnetz - dem sogenannten Smart Grid - gehört die Zukunft, aber nicht die Gegenwart. Für viele Verbraucher lohnt sich der Umstieg noch nicht.

Die Idee klingt gut: Wenn Solar- und Windkraftanlagen wegen der Wetterlage zu wenig Strom erzeugen, erhöhen Energieversorger kurzzeitig die Preise. Das gibt Verbrauchern einen Anreiz, ihren Stromkonsum zu senken, bis der Engpass überwunden und die Tarife gefallen sind. Kunden können so Geld sparen und die Versorger ihre Netze gleichmäßiger auslasten. Bei großer Nachfrage müssen sie keinen teuren Spitzenlaststrom mehr dazukaufen und bei einem Überangebot an Strom keine Windkraftanlagen vom Netz nehmen.

So weit zumindest die Theorie des sogenannten Smart Grid. Die Voraussetzung für das elegante Preisventil ist jedoch eine in vielen Bereichen verbesserte Technik – von intelligenten Zählern bis hin zu fernsteuerbaren Haushaltsgeräten. In der Praxis lässt das intelligente Stromnetz gerade erst die Phase der Pilotprojekte und PowerPoint-Präsentationen hinter sich.

Die ersten Hausgerätehersteller bewerben ihre Modelle zwar schon mit dem Label "Smart Grid ready", doch wirklich fertig ist das schlaue Netz damit noch lange nicht. Erst Ende 2012 sollen verbindliche technische Standards für intelligente Netze und Zähler vorliegen, etwa offene Schnittstellen für die Kommu- nikation zwischen den Systemen. Außerdem ist das Problem noch nicht gelöst, wie die Daten der Kunden und Netzbetrei-ber geschützt werden sollen (siehe TR 10/2011). Deshalb halten sich Versorgungsunternehmen bei smarten Technologien noch immer zurück. Es bestehe wegen der fehlenden Standards keine "Investitionssicherheit", heißt es zum Beispiel bei Vattenfall Europe.

Auch die Verbraucher sind beim Thema intelligente Stromnutzung skeptisch. Kein Wunder: Sie müssen erst einmal die bestehenden Angebote in Einklang bringen – was alles andere als einfach ist. Um wirklich Geld und Energie durch das Smart Grid zu sparen, müssen nämlich drei Komponenten zusammenwirken: intelligente Stromzähler ("Smart Meter"), entsprechende Elektrogeräte sowie ein flexibler Tarif.

Am weitesten gediehen ist die Entwicklung bei den Zählern: In Deutschland sind Netzbetreiber bereits seit Anfang 2010 verpflichtet, auf Wunsch des Kunden einen Smart Meter zu installieren. Die EU-Kommission fordert in dem Strategiepapier "Smart Grids – from innovation to deployment", dass 80 Prozent der Haushalte in Europa bis 2020 mit einem Smart Meter ausgestattet sein müssen. Ohne solche Zähler lassen sich flexible Tarife nicht abrechnen. Außerdem können Smart Meter auch so schon, wenn auch eher indirekt, zum Stromsparen beitragen. Sie zeigen nämlich – direkt am Gerät, auf einem separaten Display oder über ein Online-Portal – den aktuellen Stromverbrauch im Minuten- oder Sekundentakt an. So kann jeder Verbraucher seinen Konsum überwachen und ermitteln, welche Geräte die größten Stromfresser sind.

Passend dazu kommen nun nach und nach auch Haushaltsgeräte, die mit dem Smart Grid zusammenarbeiten können, auf den Markt. Miele verkauft seit April 2011 zwei Waschmaschinen und einen Trockner mit dem "SG ready"-Logo. Zur Internationalen Funkausstellung (IFA) Anfang September in Berlin kam ein Geschirrspüler hinzu, Kühlschränke und Tiefkühltruhen sind für das kommende Jahr in Planung. Mehr als 2000 Geräte wurden bis Ende Juni abgesetzt. Wie auch immer die intelligenten Stromnetze später funktionieren werden – die Geräte sollen dazu kompatibel sein, versichert Miele. "Wer jetzt also vor einem Gerätewechsel steht, sollte sich überlegen, ob er nicht lieber schon ins Smart Grid investiert", sagt Miele-Sprecher Michael Prempert.

Der Konkurrent Bosch und Siemens Hausgeräte (BSH) hat auf der IFA 2011 zwar einen Smart-Grid-Geschirrspüler vorgestellt, der kommt allerdings bislang nur in Pilotprojekten zum Einsatz. Das Unternehmen will nach eigener Darstellung abwarten, bis einheitliche Standards für Gerätehersteller und Energieversorger vorliegen. Der Hersteller Liebherr präsentierte auf der IFA Smart-Grid-fähige Gefrierschränke. Sie senken in Billigstromphasen ihre Temperatur von den eingestellten minus 18 Grad um weitere Minusgrade ab, um sich später bei Bedarf phasenweise abschalten zu können. Allerdings sind diese Geräte zwar im Handel erhältlich, das für die intelligente Nutzung nötige Zubehör gibt es jedoch erst, wenn auch die Energieanbieter so weit sind.

Mit dem Kauf eines "SG ready"-Geräts allein ist es nämlich nicht getan. Zusätzlich brauchen die Kunden noch für jedes Gerät ein Kom- munikationsmodul sowie ein zentrales Steuergerät für den gesamten Gerätepark ("Gateway"). Bei Miele etwa werden die Kommunikationsmodule auf der Rückseite der Geräte eingesteckt; sie tauschen dann über das heimische Stromnetz mittels sogenannter "Powerline Communication" Daten mit dem Gateway aus. Dieses besteht aus einer kleinen Box, die ans Internet angeschlossen wird. So lassen sich alle Smart-Grid-Geräte im Haushalt online über einen PC oder ein Smartphone fernbedienen.

Nun aber stehen die Verbraucher vor einer weiteren Hürde: Selbst wer seine Geräte auf diese Weise vernetzt und einen Smart Meter im Keller hat, kann die Technik ohne flexible Stromtarife kaum sinnvoll nutzen. Die Stromversorger bieten derzeit aber nur feste Zeittarife an und verschicken auch keine Signale an die Haushalte, die einen Tarifwechsel mitteilen. Das bedeutet: Der Nutzer muss seine Geräte manuell programmieren. Er greift dazu per Computer oder Smartphone auf das Gateway zu und gibt über dessen Benutzeroberfläche die Tarife ein: Von 8 bis 16 Uhr soundso viel Cent, von 16 bis 22 Uhr soundso viel – und so weiter. Nun kann der Benutzer noch eine Zeitbegrenzung ergänzen: Die Waschmaschine soll beispielsweise nur zwischen 7 und 22 Uhr laufen, damit die Nachbarn sich nicht aufregen. Einmal programmiert, lädt man morgens seine Waschmaschine voll, schaltet das Gerät auf Smart Grid und überlässt alles Weitere der Software. Die schaltet die Maschine an, sobald der günstigste Tarif beginnt. Darüber hinaus sorgen ergänzende Regeln dafür, dass die Waschmaschine früh genug anspringt, um rechtzeitig vor der Deadline fertig zu sein.