Vom Nutzen magischer Pilze

Mehrere Forschergruppen haben mit Hirnscans die Wirkung eines psychedelischen Wirkstoffs untersucht. Was bringen solche Studien?

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Manchmal darf man ganz legal im Dienste der Wissenschaft Halluzinogene nehmen. In zwei aktuellen Studien haben Forscher untersucht, wie genau zum Beispiel Psilocybin auf das Gehirn wirkt, der entscheidende – und verbotene – Inhaltsstoff aus psychedelisch wirkenden Pilzen (die nicht umsonst unter dem Namen „Magic Mushrooms“ bekannt sind). Das geschah nicht nur aus rein akademischer Neugier, sondern sollte auch klären helfen, warum Psilocybin in den 1950-er Jahren in der Psychotherapie eingesetzt wurde und ob ein streng therapeutischer Einsatz – zum Beispiel bei Angsterkrankungen und Depressionen – heute wieder sinnvoll wäre.

Bei beiden Studien kamen einige interessante Ergebnisse heraus. Im Rahmen der ersten Studie verabreichten englische und dänische Wissenschaftler 30 gesunden Probanden Psilocybin per Infusion und untersuchten anschließend mittels funktioneller Kernspintomographie, in welchen Gehirnbereichen sich die Aktivität stark verändert. Die Scans offenbarten eine Überraschung: wie die Forscher diese Woche im Fachjournals PNAS schreiben, muss die bisherige Annahme revidiert werden, wonach bewusstseinserweiternde Drogen die Gehirnaktivität stark anregen und auf diese Weise für überschießende Reaktionen wie Halluzinationen von geometrischen Mustern, ungewöhnliche, zum Teil mystische Empfindungen und eine gestörte Wahrnehmung von Zeit und Raum, sorgen.

Stattdessen fanden sie heraus, dass die Pilzdroge sozusagen den Funkverkehr zwischen verschiedenen Gehirnbereichen unterbricht, indem sie die Aktivität der großen Verrechnungszentralen dämpft. Diese sogenannten Hubs sorgen normalerweise dafür, dass wir die Welt um uns herum geordnet wahrnehmen. Einer dieser Hubs, der sogenannte mediale präfrontale Kortex, ist bei depressiven Patienten übermäßig aktiv; die Dämpfung dieses Bereichs würde also die früher berichtete, antidepressive Wirkung von Psilocybin erklären, zumal die Forscher herausgefunden haben, dass die Substanz an denselben Rezeptoren andockt wie viele gängige Antidepressiva.

Zu der Hub-Erkenntnis passen die Ergebnisse der zweiten Studie, die diesen Donnerstag im British Journal of Psychiatry publiziert werden. Die Autoren verabreichten Probanden Psilocybin und ließen sie im Hirnscanner an besonders positive Erinnerungen denken. Die Studienteilnehmer, die den echten Wirkstoff erhalten hatten, erlebten die Erinnerungen viel intensiver und lebhafter als diejenigen Probanden, denen nur ein Placebo verabreicht wurde. Offenbar haben die Verrechnungszentralen auch beim Abrufen von Erinnerungen eine dämpfende Wirkung.

Warum müssen wir eigentlich genau wissen, wie Drogen wirken? Nur wenn die Wirkweise von Drogen bekannt ist, lassen sich wirksame Gegenmittel entwickeln. Die Wirkweise von Drogen verrät uns außerdem mehr darüber, wie das Gehirn funktioniert. Ein Großteil des Wissens darüber stammt tatsächlich aus Untersuchungen von Störungen und Funktionsausfällen. Warum sollten wir aber, selbst Drogen auch einen therapeutischen Nutzen hätten, ihren medizinischen Einsatz überhaupt in Erwägung ziehen? Öffnen wir damit für diese – eigentlich verbotene – Substanz nicht ein legales Hintertürchen für all diejenigen, die nur auf der Suche nach dem nächsten Kick sind? Haben wir nicht schon genug Medikamente, die ganz legal in der Drogenszene kursieren, weil sie auch psychoaktiv wirken und noch nicht auf dem Index stehen (wie TR in seiner neuen Ausgabe 2/2012, die am 26. Januar erscheint, schreibt)?

Ich will an dieser Stelle keine Grundsatzdebatte lostreten und habe auch keine Patentlösung auf Lager. Es ist schwer zu sagen, welches die beste Strategie bei medizinisch wirksamen Psychedelika und psychedelisch wirksamen Medikamenten wäre. Um es deutlich zu sagen: Ich befürworte keine Drogen, sie haben schon zu viele Leben zerstört. Aber es gibt eine interessante Überlegung, die mir seit dem Lesen des Artikels „Stimmung aus der Retorte“ meiner Kollegin Nike Heinen im Kopf herumgeht. Sie zitiert den russischen Drogenchemiker Alexander Shulgyn, der davon fasziniert ist, wie das Herumschrauben an einige wenigen Atomen oder Atomgruppen an einem Molekül auf einmal eine Substanz hervorbringt, die psychedelisch wirkt und „das Gehirn zu Brei schießt“. Wenn man das mal umkehrt, könnte man das Potential von Drogen, die wie Psilocybin auch – noch näher zu untersuchende – therapeutisch nützliche Effekte haben, ganz anders betrachten: Wenn nämlich das Herumschrauben an wenigen Atomen eines Halluzinogens dazu dient, diese Wirkung auszuknipsen und den therapeutischen Nutzen zu erhalten oder sogar zu verstärken, wäre diese Erkenntnis mit einem mal höchst nützlich. Nicht so einfach, wie es klingt, ich weiß.

(wst)