Das vielleicht nutzloseste Dosimeter der Welt

Ein Ausflug nach Fukushima zeigt: Die Menschen greifen dort zu einem Jetzt-erst-recht-Spirit – trotz allem.

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Von
  • Martin Kölling

Ein Ausflug nach Fukushima zeigt: Die Menschen greifen dort zu einem Jetzt-erst-recht-Spirit – trotz allem.

Fukushima hat nicht das beste Image. Radioaktivität ist ein Problem. Das andere sind die Berichte über die Präfektur. Sie perpetuieren das Bild von verzweifelten Menschen, die sich in der Opferrolle suhlen. Auf einer Reise durch die Region habe ich allerdings eine weit komplexere Realität vorgefunden. Viele meiner Gesprächspartner tragen eine Mischung im Herzen aus Trauer über den Verlust ihrer Häuser durch den Tsunami (oder gar ihrer Heimat durch den Atomunfall), Sorge um die Strahlenfolgen besonders für Kinder, Wut über Tepco und die Regierung – und dem Willen, nun die Region wieder aufzubauen.

"Wir haben uns von der Regierung im Stich gelassen gefühlt, nun haben wir die Regierung abgeschrieben und machen unser eigenes Ding", sagte mir Sachiko Sato, die Mitgründerin des Fukushima-Netzwerks zum Schutz der Kinder vor Strahlung. Eines ihrer Vorhaben ist es, für die Kinder aus Fukushima das Recht auf Evakuierungen durchzusetzen.

Viele andere, die aus welchen Gründen auch immer nicht weggelaufen sind, richten sich nun auf das Leben mit der Strahlung ein. Das ist weiß Gott kein glatter Prozess. Denn es gibt ja glücklicherweise kein Vorbild für eine Atomkatastrophe diesen Ausmaßes in einer dicht besiedelten Industrienation. Aber die Menschen haben es offenbar satt, sich als hilflose Opfer zu sehen.

Allerdings scheinen mir nicht alle Krücken gegen die Angst hilfreich zu sein. Das für mich bisher nutzloseste Beispiel ist ein Dosimeter, das ich in einem Convenience Store in Minami-Soma gekauft habe. Es nennt sich RADfit, kostet 3990 Yen (rund 40 Euro), stammt vom US-Hersteller JP Labs und misst die akkumulierte Dosis. Das tut es wohl auch ganz akkurat. Nur scheinen mir die Maßeinheiten für den Einsatz außerhalb eines akut havarierenden Atomkraftwerks oder dem Umkreis einer Atombombenexplosion wenig Aussagekraft zu bieten.

Die geringste Maßeinheit beträgt 20 Millisievert mSv. Ab – wohlgemerkt – einer Jahresdosis dieser Höhe wird in Japan evakuiert. Von da an verfärbt sich der Messstreifen munter über 50, 100, 250, 500, 1000, 2000, 4000 und 10000 mSv von gelb nach schwarz weiter. Bei Werten zwischen 250 und 500 mSv soll man sich medizinischen Rat einholen, darüber sich gleich in die Intensivstation begeben und die Behörden informieren, besagt die amerikanische Bedienungsanleitung. Ist es noch mehr, ruft man besser gleich auch den Bestatter an.

Das Problem für die Bewohner Fukushimas allerdings sind niedrigere Strahlendosen. In Minami-Soma beträgt die Jahresdosis um 3 mSv pro Jahr gemessen in ein Meter Höhe über dem Boden. In der Stadt Fukushima ist es in einigen Stadtteilen mehr, aber auch nicht soviel mehr, als dass das Dosimeter in dem einen Jahr seiner Funktionsdauer sich jemals merklich verfärben würde. Was die Menschen besser gebrauchen könnten, sind Geräte, die niedrige Dosen addieren. Bisher habe ich für mich noch keine Erklärung gefunden, warum ein solches Gerät dennoch verkauft wird. Vielleicht ist es ein Produkt für die Vertragsarbeiter, die in der Evakuierungszone malochen, vielleicht auch nur ein Souvenir für durchreisende Strahlentouristen wie mich. (bsc)