Die Woche: Unity geht nicht im Alleingang

Open-Source-Experten wie Red Hat und Suse haben schon lange gelernt, wie schwer es ist, größere Projekte allein über die eigene Distribution etablieren zu wollen. Wenn Canonical das auch erkennt, hat der Unity-Desktop eine deutlich bessere Chance, sich als dritter Desktop neben Gnome und KDE zu positionieren.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Thorsten Leemhuis

Etablierte Projekte oder Unternehmen im Linux-Bereich können noch so sehr ihr Gewicht in die Waagschale werfen: Die meiste Open-Source-Software hat sich nur deshalb breit und dauerhaft durchgesetzt, weil sie von sich aus viele Anwender für sich gewinnen konnte. Denn nur dann ziehen Programme Interessierte an, die Verbesserungen beisteuern, Fehler melden oder Vorabversionen testen; nur dann bloggen die Leute Tipps oder helfen Neulingen, sodass letztlich ein großes Ökosystem entsteht, von dem die Software erheblich profitiert.

Es ist daher gewagt oder vielleicht sogar töricht, wenn eine Distribution im kompletten Alleingang eine größere Software zum Erfolg führen will. Dennoch versucht Canonical genau das, indem es die Verbreitung von Ubuntu seit knapp einem Jahr nutzt, um das eigene Unity zu etablieren. Durch einige Haken und Ösen ist die Desktop-Umgebung nämlich eine Insel-Lösung, die außerhalb des Ubuntu-Universums praktisch kaum Bedeutung hat.

Seine volle Pracht kann Unity nämlich nur entfalten, wenn einige der schon länger in Linux-Distributionen enthaltenen Komponenten Erweiterungen enthalten, die für Unity entwickelt wurden. Zumeist sind es Änderungen an Software, die zum Gnome-Projekt oder dessen Umfeld zählt, etwa Gtk+. Die Ubuntu-Pakete enthalten die Erweiterungen für Unity, die meisten anderen Distributionen ignorieren sie. Diese schon länger schwelenden Probleme haben vor einem Jahr schon zum Abbruch mancher Bemühungen geführt, Unity für OpenSuse oder Fedora anzubieten.

Zwischenzeitlich sind neue Bestrebungen dieser Art entstanden oder werden diskutiert; Depots, die Unity für Archlinux oder OpenSuse anbieten, umgehen das Problem, indem sie die zur Distribution gehörenden Pakete mit Gtk+ und Co. durch eigene ersetzen. Das klingt vielleicht harmlos, ist letztlich jedoch der Anfang der DLL-Hölle – die würde sich vollends auftun, sobald man beispielsweise eine weitere Software einsetzen wollte, die auf wieder andere Gtk+-Erweiterungen angewiesen ist, aber nicht jene für Unity enthält.

Dieses Problem hätte Canonical vermeiden können (und sollen), indem man den Entwicklern mehr Zeit und Ressourcen bereit gestellt hätte, damit sie die Unity-Erweiterungen für Gtk+ und Co. in die Upstream-Projekte hätten einbringen können. Das haben sie durchaus versucht, aber nur teilweise geschafft. Es ist zu einfach, die Schuld dafür pauschal den Betreuern der Upstream-Projekte in die Schuhe zu schieben – auch wenn es sich auch geradezu aufdrängt, denn diese arbeiten vielfach nicht nur am Unity-"Konkurrent" Gnome mit, sondern stehen häufig auch bei "Mitbewerbern" von Canonical in Lohn und Brot. Wer Entwickler persönlich näher kennen lernt, die seit längerem in der Open-Source-Szene aktiv sind, wird allerdings wissen, dass solche Aspekte in der Open-Souce-Welt nur selten die eigentliche Ursache sind; überzogene Egos, Missverständnisse, Stress, technische Probleme oder das Streben nach einer technisch besseren Lösung sind viel häufiger die Gründe, warum Verbesserungen mancher Entwickler außen vor bleiben.

Ähnliche Probleme kennen die meisten von uns aus dem Arbeitsalltag mit Kollegen. Genau wie dort gibt es auch in der Open-Source-Szene Möglichkeiten, ungeliebte oder unwillige Menschen und Vorgesetzte zu umschiffen, um das gesteckte Ziel trotz aller Hürden zu erreichen. Nur wenn Canonical das schafft, kann der Unity-Desktop in das Standard-Angebot andere Distributionen einziehen und bekommt so eine echte Chance, sich neben Gnome und KDE als dritte Größe zu etablieren. Die Mint-Macher haben begriffen, dass es im Alleingang nicht geht: Deren kürzlich freigegebene Desktop-Oberfläche Cinnamon 1.2 lässt sich auch bei anderen Distributionen ohne größere Umstände nachrüsten. (thl) (thl)