Big Brother Awards: Ottos Pass punktet

Ein Überwachungsstaat? Deutschland ist noch nicht soweit, aber auf dem Weg dorthin, zeigten nicht nur die Preise, sondern auch das Umfeld, in dem die Big Brother Awards hierzulande verliehen wurden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 137 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers

150.000 Euro kostet das Spektakel, das sich Big Brother Awards Deutschland nennt und Jahr für Jahr größer wird. In diesem Jahr musste eine größere Halle in der Ravensberger Spinnerei zu Bielefeld her, die mit stierenden Augenbällen und geshredderten Ausdrucken der Akten dekoriert war, die die Jury zu studieren hatte, ehe sie die Preise vergeben konnte (siehe dazu den Bericht über die Preisträger der diesjährigen Big Brother Awards in Deutschland: Deutschland, einig Datenland).

Staunend vernahm das Publikum die Geschichten, wie eine Saatgutlobby sich daran macht, eine kopiergeschützte Landwirtschaft zu entwickeln, in der der Bauer bei jeder Ernte Lizenzgebühren nachzahlen muss. Nicht minder staunenswert: die inquisitorischen Fragen, die 700 Handybesitzer beantworten mussten, die sich in einer Funkzelle aufhielten, als eine Restpostenbörse von Brandstiftern abgefackelt wurde. Zeugen wurden gesucht, doch die Fragen galten dem Täter. Die mobile Beweislastumkehr lieferte einen kleinen Vorgeschmack auf die echten Location Based Services, die in einem Überwachungsstaat installiert werden können.

Deutschland ist noch nicht soweit, aber auf dem Weg dorthin. Das Verdienst, diesen abschüssigen Weg weg von den bürgerlichen Freiheiten eingeschlagen zu haben, gebührt dem scheidenden Bundesinnenminister Otto Schily, dessen Nominierungsmeldungen zahlenmäßig noch die Nominierungen zu den RFID-Tickets der kommenden Fußball-WM überstieg. Für die Otto Schily als Sportminister insofern einen kleinen Zusatzpreis reklamieren könnte: Seiner Intervention ist es zu verdanken, dass die gesetzlich verbotene Speicherung von Personalausweis/Pass-Nummern in kommerziellen Datenbanken der FIFA gelockert wurde.

Als die Nominierung von Otto Schily für den "Lifetime Award" bekannt gegeben wurde, gab es stürmischen, lauten Beifall. Ausschlaggebend war die Art und Weise, mit der Schily und seine Berater den biometrischen Reisepass, den ePass unter Umgehung des Parlaments, unter Missachtung der gesellschaftlichen Debatte und unter Verletzung des deutschen Passgesetzes auf dem Wege einer EU-Verordnung durchgesetzt haben. Der Otto-Pass oder oPass ist in der öffentlichen Debatte und so kommt es, dass ausgerechnet Otto Schily, wiewohl nicht bei der Preisverleihung anwesend, eine Replik lieferte.

In mehreren Mitteilungen verteidigte Schily den biometrischen Reisepass, der von der Jury des Big Brother Awards als "Obsession" charakterisiert wurde. Sein Ministerium schickte Pressemeldungen aus, die sich auf den Kongress der Datenschützer in Lübeck bezogen und den ePass verteidigen sollten. Schilys Ausführungen zeigen, warum nicht nur professionelle Datenschützer besorgt sind, was den Pass angeht. Der von den Kritikern beklagte Umstand, dass etliche Teile der Bio PII-Studie, der großen Machbarkeitsstudie zum Einsatz biometrischer Reisepässe, geheim gehalten werden, wird von Schily in einer Pressemeldung abgeschmettert: "Ein sehr kleiner Teil der Bio-P II-Studie ist als intern deklariert und nicht veröffentlicht, weil dort Methoden der Überwindung biometrischer Kontrollsysteme beschrieben und deren Erfolgstauglichkeit beurteilt werden. Damit soll verhindert werden, dass Kriminelle eine Hilfestellung bekommen. So selbstverständlich es ist, dass Sicherheitssysteme auch Schwachstellenanalysen unterzogen werden, so selbstverständlich ist es auch, dass diese Analysen nicht veröffentlicht werden."

In einer weiteren Pressemeldung heißt es: "Im Einklang mit der Forderung der europäischen Datenschutzbeauftragten legen die deutschen Rechtsnormen außerdem fest, dass ein Auslesen der biometrischen Daten nur durch die zuständigen Behörden erfolgen darf. Technisch wie rechtlich sind die biometrischen Daten damit abgesichert." Vereinfachungen dieser Art sind es, mit denen Otto Schily seinen zweifelhaften Ruhm noch im Abgang festigen möchte. Rolf Gössner, selber Rechtsanwalt, hatte als Laudator des Otto-Schily-Gedächtnis-Preises sichtlich Mühe, den Lebensweg des RAF-Verteidigers (von Gudrun Ensslin) über den engen Freund von Petra Kelly zum SPD-Rechtsausleger zu skizzieren. Fast wurde es ein anrührendes Portrait. Der aufrechte Gang, wie ist er mit dem Datenkraken vereinbar? Die Jazz-Combo, die die Preisverleihung begleitete, lieferte eine eigenwillige Interpretation zum Lifetime Award ab: Sie spielte das "Lied vom Tod" vom Jungen mit der Mundharmonika.

Zur Verleihung der Big Brother Awards siehe auch:

Zur Verleihung der Big Brother Awards in Österreich siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)