Tunnel thermisch aktiviert

Ringe aus Beton mit integrierten Absorberleitungen können die Wärme in Verkehrstunneln nutzbar machen – und damit nahegelegene Gebäude heizen oder auch kühlen.

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Von
  • Tanja Ellinghaus

Ringe aus Beton mit integrierten Absorberleitungen können die Wärme in Verkehrstunneln nutzbar machen – und damit nahegelegene Gebäude heizen oder auch kühlen.

Die Tunnelgeothermie ist ein noch recht junger Zweig innerhalb der erneuerbaren Energien: Hierbei wird die thermische Energie von Luft oder Wasser aus Tunneln verwertet. Die Technologie steckt zwar in Deutschland noch in den Kinderschuhen, aber bereits jetzt haben der bayerische Polymer-Spezialist Rehau und der Stuttgarter Baukonzern Züblin gemeinsam ein Bauelement entwickelt, um das geothermische Potenzial von Tunneln zu erschließen: Zwei Meter breite Betonringe dienen als unterirdische Wärmetauscher.

Energietübbing von Rehau und Züblin: In die Fertigbetonringe ist ein Rohrleitungssystem integriert, durch die eine Wärmeträgerflüssigkeit fließt.

(Bild: Züblin)

Für ihren sogenannten "Energietübbing" erhielten die Firmen vor kurzem den "International Tunneling Award". Bei dieser Neuheit handelt es sich im Wesentlichen um die Weiterentwicklung herkömmlicher Tübbings. Das sind ringförmige Fertigbetonteile, die, aneinandergesetzt, die Schale von Verkehrstunneln bilden. Damit diese Segmente zum Beispiel Eisenbahntunneln Wärme entziehen können, sind in den Energietübbings Absorberleitungen aus besonders robustem Polyethylen verlegt, durch die eine Wärmeträgerflüssigkeit strömt.

Mit dieser Technologie wurde im vergangenen Jahr der Eisenbahntunnel Jenbach in Österreich ausgerüstet. Während des Neubaus erhielt der insgesamt 3,5 Kilometer lange Tunnel auf einer Strecke von 54 Metern eine Verschalung mit 27 Energietübbings. Über einen Rettungsschacht gelangen die Absorberleitungen an die Oberfläche, wo sie mit einer Wärmepumpe verbunden werden, die für eine Temperaturerhöhung sorgt, um den Bauhof der Gemeinde Jenbach zu versorgen. Laut Rehau handelt es sich bei dem Bau um das erste in einen Tunnel integrierte Geothermiekraftwerk.

Mehr als Verkehr: Bereits bei ihrem Bau könnten Verkehrstunnel mit einem Absorbersystem ausgerüstet werden, um die warme Luft energetisch zu nutzen.

(Bild: AlpTransit Gotthard AG)

Derzeit werde der Betrieb der Anlage messtechnisch überwacht, um die tatsächliche mit der berechneten Wärmeentzugsleistung zu vergleichen, teilt Ralf Winterling mit, technischer Leiter der Abteilung Traffic Route Engineering bei Rehau. Dieses Absorbersystem eignet sich in erster Linie für Tunnelneubauten. Da die Rohre in die Betonkonstruktion eingebettet werden müssen, sei ein nachträglicher Einbau schwierig und nur bei größeren Renovierungsmaßnahmen bestehender Tunnel vorstellbar, berichtet Winterling. Insgesamt halten sich die Zusatzkosten für die energetische Aufrüstung, das heißt für das Einbringen der Absorberrohre, in Grenzen: Ein Energietübbing kostet ein bis zwei Prozent mehr als ein herkömmlicher Tübbing.

Bekannt ist die Tunnelgeothermie vor allem aus der Schweiz, wo sie seit Jahrzehnten eingesetzt wird. Dort ging 1979 das erste Tunnelgeothermiekraftwerk am Gotthard Straßentunnel in Betrieb. Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied zum Jenbacher Tunnel: Statt der Tunnelluft wird hier zumeist austretendes Gebirgswasser genutzt, das aufgrund der Mächtigkeit des Gesteins über den Tunneln eine Temperatur von 20 bis 40 Grad Celsius hat. Am Tunnelausgang erreicht das Wasser bei den geothermischen Anlagen, die derzeit in Betrieb sind, 12 bis 19 Grad Celsius. Normalerweise muss das austretende Wasser gekühlt werden, bevor es in einen See oder Fluss geleitet werden wird. Durch die geothermische Nutzung ist das nicht mehr erforderlich – stattdessen kann jetzt das brachliegende Energiepotenzial genutzt werden: Die Temperatur des Gebirgswassers wird mithilfe einer Wärmepumpe angehoben und anschließend an die Wärmeabnehmer in der Nähe des Tunnelausgangs verteilt.

In den Segmenten werden die Absorberrohre zu durchgängigen Rohrschleifen verbunden.

(Bild: Rehau)

Je nach Größe tunnelgeothermischer Anlagen, können sowohl einzelne Gebäude als auch Hunderte von Haushalten beheizt werden. Die Schweiz hat mehr als 700 Eisenbahn- und Straßentunnel und damit auch eine der weltweit höchsten Tunneldichten.

Für die geothermische Nutzung gibt es also noch jede Menge Einsatzmöglichkeiten. Eine Studie beziffert das geothermische Potenzial von allein 15 Tunneln der Schweiz auf insgesamt rund 30 Megawatt.

In Deutschland bieten sich Straßen- und U-Bahntunnel oder auch Abwasserkanäle für die geothermische Nutzung an. Wichtig sei es, die Anlagen saisonal zu nutzen, um die Energie im Winter zum Wärmen und im Sommer zum Kühlen zu verwenden, erklärt Christian Moormann, Direktor des Instituts für Geotechnik an der Universität Stuttgart. Er hält diese Form der geothermischen Nutzung auch hierzulande für durchaus wirtschaftlich und zukunftsfähig. Die Herausforderung besteht seiner Ansicht nach auch nicht in der Installation der entsprechenden Technik, sondern vielmehr darin, das thermische Potenzial der Tunnel richtig einzuschätzen.

Die Absorberrohre sind am Bewehrungskorb angebracht. Anschließend wird alles mit Beton vergossen.

(Bild: Rehau)

Moormann ist beteiligt am Projekt GeoTU6, bei dem im neuen Bauabschnitt der Stuttgarter Stadtbahnlinie 6 eine tunnelgeothermische Teststrecke eingerichtet wurde. Diese besteht aus sogenannten Energieblocks: Zwei jeweils zehn Meter lange Abschnitte erhalten Absorberleitungen, die zwischen einer Außenschale aus bewehrtem Spritzbeton und der Innenschale aus bewehrtem Ortbeton platziert werden.

Um die Absorberrohre der einzelnen Segmente miteinander zu verbinden, wurden Aussparungen gelassen.

(Bild: Rehau)

Dieses System funktioniert im Prinzip wie der Energietübbing von Rehau, besteht aber nicht aus Fertigelementen, sondern die Einzelteile werden vor Ort montiert. Das Absorbersystem ist an eine Hauptleitung angeschlossen, die aus dem Tunnel in einen Betriebsraum im Haltestellenbereich führt, wo eine Wärmepumpe und eine Speichereinheit installiert sind. Die Forscher testen derzeit die Leistung des Absorbersystems, um mehr über die technische Umsetzbarkeit tunnelgeothermischer Anwendungen herauszufinden.

Noch ist die Tunnelgeothermie nur ein kleiner Zweig der Geothermie und ein noch relativ unbekannter im Bereich der erneuerbaren Energien. Aber gerade in Städten könnte sich der Einsatz dieser Technologie als äußerst effizient erweisen, um die Energie sogenannter Wärmeinseln im Untergrund zu nutzen.

Das sind Bereiche mit einer erhöhten Temperatur, die durch die dichte Bebauung, den Verkehr und die Industrie entsteht. Außerdem wären keine langen Leitungen notwendig: Die Abnehmer der Energie aus dem Tunnel finden sich direkt vor Ort. (tae)