Die Kunst der gelungenen Entführung

Wer hätte gedacht, dass in Zeiten von Avatar und Inception auch ein Schwarz-weiß-Film begeistern kann.

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Letzten Samstag wurden in Los Angeles die sogenannten Technik-Oscar verliehen, zwei Wochen vor der großen Show. Während ich die Liste der Preisträger durchlas, die für High-Speed-Digitalkameras, elektronisch gesteuerte Kameraplattformen für Luftaufnahmen und laserbasierte Filmbelichter und für digitale Aufnahmen ausgezeichnet wurden, wurde mir bewusst: parallel zu all diesen High-End-Werkzeugen befindet sich in diesem Jahr auch ein in klassischem schwarz-weiß gedrehter Stummfilm unter den Nominierten für die Academy Awards.

„The artist“ hat gute Chancen, gleich in mehreren Kategorien zu gewinnen, nicht nur als bester Film, sondern zum Beispiel auch für seinen Hauptdarsteller Jean Dujardin. Natürlich wurde auch „The artist“ mit moderner Technik gedreht, er hat nichts mehr von der Ruckeligkeit der alten Stummfilme. Trotzdem, wer hätte gedacht, dass dieser Film die Kinogänger, die Hightech-Animationen von Avatar und Inception und schnelle Schnitte von James-Bond- und Jason-Bourne-Filmen gewohnt sind, derart begeistern würde.

Aber das ist ja gerade das Tolle: wir wollen nicht nur, dass Computer neue Lebewesen, Oberflächen und Strukturen , Bewegungen und ganze Welten immer realistischer nachbilden – zuweilen sogar so gut, dass es nicht mehr auffällt, was echt und was animiert ist. Wir fühlen uns auch dann gut unterhalten und bewegt, wenn wir die Langsamkeit, die Ruhe der Schwarz-weiß-Bilder und vor allem die Mimik der Schauspieler wiederentdecken. Auf einmal lenkt nichts von der kunstvoll hochgezogenen Augenbraue und dem breiten Lächeln ab – und ja, da ist endlich auch wieder die Situationskomik, die ohne Worte auskommt.

Für mich macht einen guten Film die Kunst aus, die Zuschauer zu überraschen, in eine neue Welt zu entführen und zwar so, dass sie sich, wenn sie merken, dass es passiert ist, längst wohl fühlen. Auch dann, wenn ihnen diese Welt eigentlich völlig fremd ist (bis „Million Dollar Baby“ hätte ich geschworen, Boxerfilme sind langweilig). Mit welcher Technik und Kameraführung das erreicht wird, ist dabei vollkommen egal. Sie muss der Geschichte dabei helfen, sich zu entfalten, nicht im Vordergrund stehen. (wst)