Von Strahlenschutzwäsche, Mega-Festplatten und anderen Nano-Trends

Die weltgrößte Messe für kleinste Teilchen hat gestern in Tokio begonnen. Der erste Eindruck von der "Nanotech" 2012: Das Schlagwort lautet diesmal Funktionalisierung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Kölling

Die weltgrößte Messe für kleinste Teilchen hat gestern in Tokio begonnen. Der erste Eindruck von der "Nanotech" 2012: Das Schlagwort lautet diesmal Funktionalisierung.

Der erster Stand, den ich auf der "Nanotech" normalerweise besuche, ist der des japanischen Unterwäscheherstellers Gunze. Dort bin ich auf der Suche nach neuen Ideen noch nie enttäuscht worden, auch dieses Mal nicht. Der Star dieses Standes auf der größten Messe der Nano-Branche, die wie üblich in Tokio stattfindet, ist ein Strahlenschutzanzug aus verwebten Wolfram-Fäden. Das Gewebe soll per Kilogramm pro Quadratmeter mehr Gamma-Strahlung blocken als Bleiplatten – und nebenbei den Vorteil besitzen, sich besser an den Körper anzupassen als das zugegebenermaßen etwas sperrige Metall. Der ausgestellte Kapuzenanzug besteht aus zwölf Lagen Stoff und kostet aktuell rund 35.000 Euro. Eine ärmellose Wolfram-Weste gibt es hingegen schon für weniger als die Hälfte. Waschbar ist der Schutz leider nicht. Aber er ist ja auch dafür gedacht, unter einem der Instant-Strahlenschutzanzüge getragen zu werden, die derzeit bei den Rettungsarbeitern im zerstörten AKW Fukushima 1 so groß in Mode sind.

Doch bei den Preisen dürfte das gute Stück selbst im verstrahlten Fukushima keinen Massenabsatz finden. Umsatzträchtiger sind da schon die Silizium-Kohlenstofffäden direkt neben dem Strahlenschutzanzug. Diese sind extrem hitzebeständig und können daher auch in Düsentriebwerken verbaut werden. Gunze will mit ihnen den bisherigen Duopolisten für solche Hightechfäden, Nippon Carbon und Ube Industries (beide ebenfalls aus Japan), Konkurrenz machen. In Deutschland soll BMWs Kohlefaserpartner SGL ebenfalls an einem Markteinstieg arbeiten. Der Problem dieses Werkstoffs ist allerdings ebenfalls mal wieder der Preis. Das Material sei pro Gewichtseinheit bis zu 20 Mal teurer als normale Kohlenstofffasern, sagte mir ein Ingenieur.

Interessantes hat auch Toshiba zu bieten. Wie schon der Rivale Hitachi erhält das Unternehmen derzeit Geld von Japans staatlicher Hightech-Förderstelle Nedo – für die Entwicklung der Mega-Festplatte der nächsten Generation. In hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft soll eine 3,5-Zoll-Festplatte 45 Terabyte speichern können (15 Terabyte pro Scheibe, derzeit werden oft drei Scheiben in einer Festplatte kombiniert). Damit dies gelingt, will Toshiba die Magnetscheibe im Nano-Bereich revolutionieren. Die bisherige Magnetschicht soll durch nur mehrere Nanometer große magnetische Punkte ersetzt werden. Und jeder Punkt soll ein Bit speichern.

Da diese kleinen Größen die gegenwärtigen Lithographietechnik überfordern, haben die Japaner ein neues Verfahren entwickelt: Sie kombinieren zwei Polymere, die regelmäßig Berge und Täler und damit Punkte bilden – und diese Vorlage wird zum Ätzen verwendet. Bei der ultimativen Riesenfestplatte sind die Punkte acht Nanometer groß. Im Labor hat Toshiba die Punkte bereits auf fast 17 Nanometer geschrumpft, wodurch rund 2,5 Terabyte pro Zoll gespeichert werden können, also 11,1 Terabyte pro 3,5-Zoll-Laufwerk. Die erste Festplatte mit dieser Größe könnte bereits 2016 auf den Markt kommen, mutmaßt ein Ingenieur am Stand. "Die Festplatte ist nicht tot", glaubt er. Allerdings wird sie wahrscheinlich in den dunklen Speichertürmen der immer größer werdenden Datenzentren ihr Leben fristen. In Mobiltelefonen und Notebooks werden hingegen Flash-Speicher arbeiten, erwartet selbst der Festplattenfan.

Der wichtigste Trend der Messe heißt vielleicht "Funktionalisierung", also die Anpassung der Nanopartikel an eine Matrix. Die Partikel allein machen nämlich nichts, sondern entfalten erst addiert zu einem anderen Werkstoff ihre Wirkung, erklärt Karl-Heinz Haas, Geschäftsführer der Nanotech-Allianz der Fraunhofer-Institute. "Nano ist immer ein System", so Haas. "Wenn Sie den Prozess nicht beherrschen, stellen sie ein Produkt nur teurer her, das auch nicht mehr als andere kann." Das ganze ist sehr komplex: Nicht nur müssen die Nanopartikelhersteller ihre Produktion mit kontrollierter Qualität aufbauen. Auch die Kunden müssen erst einmal lernen, wie die Nanopartikel genutzt und vor allem in den bisherigen Produktionsablauf eingebaut werden können. Dementsprechend schleppend verläuft auch die Verwendung von Nanopartikeln in Produkten.

Am Stand von Bayer zeigt sich allerdings in Form einer mit Kohlenstoffnanoröhrchen verstärkten Alu-Schraube, dass die Tage der Massenvermarktung näher rücken. Das Ziel des Projekts sei es, ein Bauelement herzustellen, das so fest wie Stahl und so leicht wie Aluminium ist, sagt Peter Krüger, Chef der Arbeitsgruppe Nanotechnologie bei Bayer MaterialScience. Die Schraube auf der Messe käme schon nahe an die Vision heran. Besonders in der Autoindustrie verortet er Interesse. Denn die Hersteller wollen dem Elektroauto zum Durchbruch verhelfen. "Und beim Elektroauto zählt jedes Gramm", sagt Krüger. Er gibt die Hoffnung nicht auf, an etwas ganz großem beteiligt zu sein: "Das Potenzial vieler Entwicklungen wurde schon kurz- und mittelfristig überschätzt, aber langfristig unterschätzt."

Nur müssen die Europäer aufpassen, dass sie den Zug nicht verpassen. Denn eine der wichtigsten Kundengruppen sind Elektronikhersteller. Und die sitzen meist in Asien. Aber Europa hat sich nicht aufgegeben und klotzt, um eine eigene Nanotech-Industrie aufzubauen: Auftritt Future & Emerging Technologies (FET), ein Programm, das Forschung quasi im Druckkochtopf in Produkte verwandeln soll. Bis Ende dieses Jahres sollen aus sechs Projekten zwei "FET-Flaggschiffe" ausgewählt werden, die dann jeweils mit einer Milliarde Euro gefördert werden.

Als intellektuelle Denkfabrik der Europäischen Union in Sachen Nano hat sich dabei ausgerechnet ein Staat entpuppt, der gar nicht zur EU gehört: die Schweiz. Eidgenössische Forschungseinrichtungen sind federführend an drei von sechs Projekten beteiligt. Eines präsentieren die Macher ganz stolz am Schweizer Stand (der übrigens sehr zur Freude der Besucher vom Schokoladenproduzenten Lindt gesponsert wird): "Guardian Angels", geleitet von der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne und der ETH Zürich. Das Projekt will mit Nanomaterialen smarte Produkte für unseren Alltag entwickeln, die ihre eigene Energie aus der Umgebung ernten. Sensoren für die Medizin sind angedacht, aber auch nette Gimmicks wie ein T-Shirt, das je nach Hydrationsgrad seines Trägers die Farbe ändert. Damit können Altenpfleger zum Beispiel erkennen, ob ihre Senioren genug getrunken haben. Ich finde: eine nette Idee. (bsc)