Die Woche: Warum ich keine Linux-PCs verkaufe

Nur wenige Händler bieten PCs und Notebooks mit vorinstalliertem Linux an. Das erstaunt nicht wirklich, denn wenn man über den Vertrieb von Linux-Rechnern nachdenkt, zeigen sich schnell eine ganze Reihe von Problemen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Thorsten Leemhuis

Nach einigen Jahren im Hardware-Ressort der c't arbeite ich nun schon eine ganze Weile in der für Linux und Open-Source zuständigen Abteilung. Kürzlich hab ich überlegt, ob der Verkauf von Notebooks und Desktop-PCs mit vorinstalliertem Linux nicht eine Alternative wäre.

Irrsinnig – das meldete mein Hirn eine Sekunde später. Klar, ich könnte eine Firma gründen, die so etwas macht; es gibt ja durchaus Firmen, die damit Geld verdienen. Aber ich weiß so viel über das Thema, dass ich sofort eine ganze Reihe von Problemen vor Augen habe, die solch eine Unternehmung mit sich bringen würden. So viele, dass ich zu einem vom Markt akzeptierten Preis nicht die Qualitätskriterien erfüllen könnte, die ich an meine Produkte stellen würde. Denn schon aus den Jahren im Hardware-Ressort weiß ich, dass es rund um Hardware und Systemkonfiguration die kuriosesten Probleme gibt, selbst wenn man auf das allgegenwärtige Windows setzt, mit dem die Hersteller testen; aber das ist ein Klacks im Vergleich zu den Problemen, die Linux mit sich bringt.

Das beginnt mit der Frage der Distribution: Welche auch immer man wählt, man schränkt damit den ohnehin schon kleinen Zielmarkt ein, denn der Fedora-Fan wird sich ebensowenig mit Ubuntu anfreunden wie umgekehrt. Klar, man könnte mehrere Distributionen anbieten – aber dann vervielfacht sich den Testaufwand. Das klingt vielleicht nach nicht viel Arbeit, aber es sind doch schnell einige Stunden, die das pro Distribution und System kostet; für einen attraktiven Preispunkt muss man also besser ein Gerät mit einer Distribution möglichst oft verkaufen.

Also würde ich mich auf Ubuntu beschränken, denn das dürfte vermutlich die meisten Kunden anlocken. Aber welche Version? Das aktuelle Ubuntu 11.10 wäre die erste Idee. Der Support für diese Version läuft aber bereits im April 2013 aus – ein jetzt kaufender Kunde hat dann noch 10  seiner 24 Monate Gewährleistung übrig. Gut, ich könnte Käufer zum Update auf die LTS-Version 12.04 raten – aber manchen mit Linux und Computern nicht so vertrauten Kunden würde das schon überfordern.

Und wenn mit dem neueren Ubuntu dann irgendwas nicht so gut läuft wie bei 11.10, dann könnte ich es meinen Kunden nicht verdenken, wenn sie bei mir anrufen und mich um Hilfe bitten oder sich beschweren. Solche Probleme sind zwar nicht die Regel, aber passieren, sodass ich Arbeitszeit in Kundenbetreuung investieren müsste, die irgendwie bezahlt werden muss; ganz zu schweigen von Situationen, wo Kunden mir mit Gerichtsverfahren oder der c't-Rubrik "Vorsicht Kunde" drohen, weil etwas schief gegangen ist.

Ubuntu 10.04 wäre keine Alternative, denn der Support für dessen Desktop-Variante endet auch im April 2013. In Zukunft wird es dieses Problem so nicht geben, denn bei Ubuntu 12.04 LTS wird erstmals auch die Desktop-Variante der Distribution fünf Jahre gepflegt. Dadurch tritt dann aber ein anderes Problem hervor. Denn mal angenommen, schon die Desktop-Version von Ubuntu 10.04 LTS würde fünf Jahre gepflegt: Ubuntu verbessert zwar mit Service-Updates wie der kürzlich freigegebenen Version 10.04.4 die Hardware-Unterstützung, aber trotzdem fehlen dieser Version schon jetzt Treiber für viele moderne Notebooks und Desktop-PCs; auch viel heute verkaufte Peripherie würde nicht laufen.

Ich könnte selbst frische Treiber nachrüsten, um das Problem zu mindern. Das ist aber zeit- und pflegeaufwendig, wenn man es richtig macht – das müsste ich, denn wenn es dem Kunden beim nächsten Update von Kernel, X-Server und Co. um die Ohren fliegt, wendet er sich mit seinem Problem möglicherweise lautstark an mich. Eine andere Lösung: Ich könnte diese Version nur mit kompatibler Hardware koppeln. Was dann aber häufig bedeuten würde: Die Bauteile sind schon etwas angestaubt und nicht auf der Höhe der Zeit – also nicht so schnell und attraktiv wie aktuelle Hardware. Nach genau der dürfte die meisten Käufer aber suchen; ohnehin ist fraglich, wie viele Kunden ein 22 Monate altes Betriebssystem attraktiv fänden.

Und ja, wir sind im Lebenszyklus von Ubuntu nahe am schlechtesten Zeitpunkt, denn Ubuntu 12.04 LTS scheint das Problem bald zu beseitigen. Letztlich ist das aber nur vorübergehend der Fall, denn bis zum Erscheinen des nächsten LTS-Version (vermutlich im April 2014) nähern wir uns nach und wieder einer Problematik, die der jetzigen ähnelt – keine rosigen Aussichten für ein Firmenkonzept, das stetig Geld einbringen muss, damit ich und meine drei Katzen was zu Essen haben.

Sind andere Distributionen eine Lösung? Nein, denn da sind die Probleme ähnlich. Die Treiber in neuen Debian-Versionen sind meist schon bei Erscheinen so veraltet, dass sie sich für aktuelle Notebooks und Desktop-PCs kaum eignen. Unternehmens-Distributionen wie Red Hat Enterprise Linux (RHEL) 6 und dessen kostenlos erhältliche Nachbauten wie CentOS scheinen attraktiver, denn Red Hat schafft es erheblich besser als Ubuntu, mit den alle halbe Jahr erscheinenden Service-Updates die Treiber-Ausstattung so zu verbessern, dass moderne Hardware häufig einigermaßen gut läuft. Aber welcher Kunde will schon für ein RHEL-Abo bezahlen? Wie viele Linux-Anwender fänden CentOS attraktiv? Wer sich im Fedora- und RHEL-Umfeld nicht auskennt oder Linux-Experte ist, wird bei beiden zudem einige Stunden brauchen, bis er alles zusammen hat, um das Flash-Plugin und alles zur Wiedergabe von DVDs, MP3s und gängigen Video-Formaten nachzurüsten.

Denn nein, all die dazu typischerweise eingesetzte Software könnte ich nicht vorinstallieren. Früher oder später würde mir nämlich jemand daraus einen Strick drehen und mich vor den Kadi ziehen – die Distributionen lassen die zur Wiedergabe für DVDs und manche Video-Formate benötigte Software schließlich nicht außen vor, um die Anwender zu ärgern. Gut, ich könnte kommerzielle Software kaufen und beilegen, die das leistet; das treibt aber den Preis hoch.

Dann sind da noch die schnellen Produktzyklen, denn viele Notebooks, PCs oder PC-Komponenten sind nur wenige Monate auf dem Markt; manchmal ändern sich auch Bauteile von PCs oder Notebooks, die ich weiterverkaufen würde. Jedes Mal müsste ich die Linux-Kompatibilität aufs Neue ausgiebig prüfen, denn jede noch so kleine Änderung birgt die Gefahr, dass plötzlich irgendwas nicht geht – das kostet Zeit und somit Geld. Und ich will gar nicht erst davon anfangen, dass gelegentlich auch mal vom Distributor herausgegeben Paket-Updates Probleme mit sich bringen können, die meinen Kunden und mir das Leben erschweren.

Klar, alle angesprochenen Probleme lassen sich lösen. Aber das kostet Zeit, die ich mir von den Kunden bezahlen lassen müsste, wenn meine Firma Geld einbringen soll. Da entsteht pro Gerät schnell ein Betrag, der über den Kosten einer Windows-Lizenz liegt. Alternativ kann man auch die Qualitätssicherung reduzieren; "schlampen" also. Das ist offenbar teilweise der Fall, denn in einem c't-Test von Notebooks mit vorinstalliertem Linux war die Linux-Installation bei allen sechs Geräten "unbefriedigend und würde die meisten Windows-Kunden wohl zur Rückgabe des Geräts bringen". Zum Glück sind viele Linux-Anwender da nachsichtig und legen selbst Hand an, wenn mal was nicht geht. Aber solche wären ja nicht meine einzigen Kunden – und Linux-Neulinge würden sich bei Problemen eben an mich wenden. Nee, das ist mir zu heikel; und vielen großen Unternehmen offenbar auch, denn auch die hätten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. (thl) (thl)