Rasanter Quark

Wer Texte des Wirtschaftsministeriums liest, dem drängt sich der Eindruck auf, dass diese Regierung sich auf einem Blindflug in das 21. Jahrhundert befindet.

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„Wir sind auf dem Weg in die Digitale Welt, in eine vernetzte, mobile und smarte Gesellschaft.“ Wer hat diese bahnbrechenden Sätze geschrieben? Richtig, es war der derzeitige Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Und das ist der erste Satz der Verlagsbeilage ITK der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - also einer anspruchsvollen und wirtschaftsnahen Tageszeitung - zur CeBIT.

Lesen wir also weiter, was der Mann anlässlich der - immer noch - weltgrößten Computermesse zu sagen hat: „Die Informations- und Kommunikationstechnologien (ITK) verändern unsere Wirtschaft, das Privat- und Arbeitsleben“. Wer von der messerscharfen Analyse und der aktuellen Relevanz der ministeriellen Worte jetzt noch nicht überwältigt ist, erfährt im ersten Absatz, dass Drei Viertel aller Menschen in Deutschland online sind, ein Drittel mobil surft und das Tempo dieser Entwicklung „atemberaubend“ ist.

Atemberaubend ist ein gutes Stichwort. Jeder Autor, der mir solch einen breitgetretenen Quark geschickt hätte, müsste sich von mir ein paar böse Worte anhören. Das einzig gute an diesem Text ist, dass Rösler ihn höchstwahrscheinlich nicht selbst verfasst, sondern nur unterschrieben hat. Den wird irgendein unterbezahlter Sachbearbeiter geschrieben haben - aber die wesentlichen Gedanken müssten schon denen des Wirtschafts- und Technologieministers (man kann das gar nicht oft genug betonen).

Denn technologiepolitisch ist dieses Geleitwort eine hohle Nuss. Da wird zum Beispiel ein Innovationsprogramm „Trusted Cloud“ erwähnt, bei dem es um die Erprobung innovativer, sicherer und rechtskonformer Cloud-Computing-Lösungen geht“. Aha, denkt sich der Leser: Solche Lösungen gibt es also noch nicht. Ich wusste ja gleich, dass man von diesem Cloud-Zeug die Finger lassen sollte.

Am besten ist aber, was alles nicht drin steht. Kein Wort über ACTA, kein Kommentar zur Diskussion um geistiges Eigentum, dem schnarchend langsamen Ausbau der Breitband-Infrastruktur in Deutschland, Schutz vor Spam, Informationelle Selbstbestimmung oder Sicherheit im Netz. Von komplizierten Dingen, wie der Tatsache, dass Google mal eben im Vorbeigehen die Zusammenführung all seiner Dienste verkündet hat, und damit künftig über einen Datenbestand verfügen wird, gegen den die Vorratsdatenspeicherung ein Kindergeburtstag ist.

Aber dafür fühlt sich der Technologie-Minister wahrscheinlich nicht zuständig.

Kurz: Wer das liest, dem drängt sich der Eindruck auf, dass diese Regierung sich auf einem Blindflug in das 21. Jahrhundert befindet. Der technologische Wandel ist zwar rasant, aber keiner weiß eigentlich, worum es dabei geht - geschweige denn, wie die wichtigsten Fragen lauten. Man könnte sich ohne Ende darüber lustig machen. Es gibt nur ein Problem: Wir sitzen mit an Bord! (wst)