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Was war. Was wird.

Ach, Wahlkämpfe. Hal Faber gähnt gelangweilt, reißt sich aber schnell am Riemen, um die Bedeutung der demokratischen Prozesse zu betonen. Ganz Echt. Auch für scheue Bambis.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Anders seyn, und anders scheinen,
Anders reden, anders meynen,
Alles loben, alles tragen,
Allen heucheln, stets behagen,
Allem Winde Segel geben,
Bösen, Guten dienstbar leben.
Alles Thun und alles Dichten
Bloß auf eignen Nutzen richten,
Wer sich dessen will befleißen,
Kann politisch heuer heißen.
Friedrich von Logau)

Hach, da lacht das Herz und die Brust bebt: das nächste iPad ist draußen und die Sonne scheint. Alles wird wärmer, auch das neue iPad. Selbst die klinisch eigentlich tote FDP zeigt Regungen, wo der von ihr mit verursachte Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen mit einem Schnellstart begonnen hat. Bambi is back, das scheue Reh, das sich nur ab und an auf Twitter zeigte und kandidiert als Fischstäbchen, ähem, als Retter aus der Tiefkühltruhe der FDP. Immerhin, seine Chancen sind besser als die von Julian Assange, der 2013 für den australischen Senat kandidieren will. Gar nicht zur reden von den Piraten, die recht plötzlich einen Dreifach-Wahlkampf stemmen müssen und vor Kraft kaum gehen können: Felix qui potuit rerum cognoscere causas!

*** Ja, das Leben könnte so flauschig-fluffig sein, wäre da nicht dieses vertrackte Internet. Dieses Maschinenunddrahtgeknubbel, dem jede Ethik fehlt. Heute wird in einer Quisquilie der nächste Bundespräsident gewählt und sein Name sei Gauck. Kurz vor der Wahl erschienen sieben Thesen zum Internet, die Gauck als Schirmherr eines Denkpanzers der deutschen Post veröffentlichte. Die deutsche Post, das ist der Konzern, der mit seiner e-Post ganz eigene Wege geht, die selbst den e-Post-Anhängern Rätsel aufgibt.
Zur Hebung des Vertrauens engagierte man als "e-Post-Botschafter" den ehemaligen Hessen-CIO Harald Lemke, der im Geschäft mit Lottogesellschaften einen tollen Markt für die e-Post sieht. Sein "Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet" musste bei den Thesen den Schirm vom Herren abziehen. In einer neuen Fassung "ruht" Gaucks Schirmherrschaft und endet mit dem Amtsantritt des Bundespräsidenten. In der noch aktuelleren Gesamtfassung (PDF-Datei) einer DIVSI-Studie über Internet-Nutzer wurden die Thesen weiter entschärft. Es fehlt der Satz von These 4 zur schrecklichen Anonymität in diesem Internet, die sofort die Justiz auf den Plan ruft: "Die Anonymität des Netzes und die damit erschwerte Arbeit der Justiz wird zunehmend für kriminelle Zwecke missbraucht." Zurück bleibt ein Satz bei These 4, der die Frage aufwirft, was denn verhältnismäßig sein soll und ob im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzip die Grundrechte gewahrt bleiben sollen, wenn es heißt: "Straftaten im Internet müssen in verhältnismäßiger Form verfolgt werden."

*** Nicht nur dem Internet fehlt jede Ethik, auch die in seinen Röhren kommunizierenden Netizen sind finstere Gestalten. Sie drangsalieren mit emotionalen, von sachlichen Argumenten losgelösten Diskussionen in Internetforen und Blogs, auf dass es eine einzige Gefahr für die öffentliche Ordnung ist. Kurz bevor die allgemeine Anarchie ausbricht, kommt dieser Stopp und passt wie Arsch auf Eimer zur gesamten ACTA-Diskussion mit ihren seltsamen Argumenten. Es ändert sich nichts in Deutschland, howgh, das Kabinett hat gesprochen, wir sind nur Beobachter und als solche womöglich dem digitalen Mob ausgeliefert:
"Insbesondere könnten die Namen der Mitarbeiter, die gemäß einem dem Antrag des Antragssteller angefügten Hinweis auf einer Webseite veröffentlicht werden, von Dritten dazu verwendet werden, in unangemessener Form gegen sie vorzugehen. In einzelnen Internetforen, Blogs und im Netz eingestellten Videos sowie dazugehörigen Kommentaren wird zum Teil eine vom sachlichen Regelungsgehalt der Bestimmungen des Abkommens losgelöste, emotionale Diskussion geführt, bei der auch ehrverletzende Äußerungen und Drohungen mit Gewalt gegen an ACTA beteiligte Personen ausgesprochen werden. Es erscheint daher im Falle der Herausgabe der Daten der bei den Verhandlungsrunden anwesenden Personen hinreichend möglich, dass diese Personen persönlich bedrängt oder sonst gegen sie unangemessen vorgegangen wird."

*** Der Untertan als solcher wird hier mit aller Geringschätzung und Verachtung bestraft, die im Bundesjustizministerium in den hintersten Ecken zusammengekehrt werden konnte. Statt der Schwärzung von 17 Namen schwadroniert man lieber von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Gegen genau diese diffuse staatliche Bürgerehrabschneiderei hilft nur eines: Spenden, damit jede Informationsblockade in Sachen ACTA angefochten werden kann. Wenn selbst die CSU ACTA als störendes Relikt aus vergehenden Zeiten betrachtet, dann ist das Getue um die öffentliche Ordnung genau das, was das Ministerium beschreibt: eine emotionale Diskussion, die Angst schüren soll, als ob hinter ACTA Ctulhu lauern würde.

*** Was bleibt, ist ein mikrobenkleiner Vorschuss für die Ministerin besagter klinisch toter Partei, die sich in dieser Woche gegen infame Vorwürfe zur Wehr setzen musste. In ihrer Heimat Bayern ist sie Zielscheibe des dortigen Landbundes der Kriminalbeamten, der davon spricht, dass wegen der fehlenden Vorratsdatenspeicherung "Tausende von Straftaten nicht aufgeklärt werden konnten, sogar Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag!" Die aufgebrachten Beamten regen sich in ihrer neuesten Presseerklärung über "Quick Freeze" auf und bringen die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung auf ein bekannt sachliches Niveau der Argumentationslogik, wonach man nichts einfrieren kann, was man nicht hat. "Dies ist ungefähr so, wie wenn eine Hausfrau ein Steak einfrieren möchte, das der Hund bereits vor drei Tagen gefressen hat!" Dabei erreicht das Angebot an Frischfleisch in Kürze neue Dimensionen.

*** Was lauert in Bluffdale, einem Städtchen, das eigentlich ein Ausläufer von Salt Lake City ist. Dort wo einst die Großfirmen Novell und Word Perfect den Campus beherrschten, sieht Spiegel Online ein ländliches Kaff, in dem die NSA ein neues Rechenzentrum baut. Glaubt man dem auf die NSA spezialisierten Autor James Bamford, wird dieses Rechenzentrum in der Lage sein, die gesamte Kommunikation der Welt im Netz, mit Telefon, die Satelliten und die Seekabel abzuschnorcheln, ob irgendwo ein Reizwörtlein auftaucht, dass auf eine Bedrohung hinweist. Dann wird schnell und entschlossen reagiert. Beispiel gefällig? Vor Kurzem hat eine dänische Firma bei einem deutschen Zigarrengroßhändler kubanische Zigarren im Wert von 26.000 US-Dollar bestellt. Die via SWIFT abgewickelte Zahlung wurde von den USA als terroristische Aktivität eingeschätzt und eingefroren. Soviel zum freien Handel im freien Europa. Starker Tobak? Aber nicht doch. Es ist unsere Freiheit, die sie meinen. Vielleicht wird der neue Bundespräsident auch diese Form der Freiheit verstehen lernen. Von wegen "The Man I Love" ...

Was wird.

Das Leben blubbert weiter und Kony 2012 ist immer noch der letzte Schrei. Bei uns ist das Super-Lotto gestartet. Angeblich macht es überhaupt nicht süchtig, diese ehrliche Chance, mit einem Schlag zu den Superreichen zu gehören. Was dort so ehrlich erzählt wurde vom braven Mr. Smith, schlägt nach wie vor hohe Wellen, die Muppets trenden. Wobei die deutsche Übersetzung als Dödel auch ein Stück der Posse ist: Die Wall Street hat kein Problem in Sachen Ethik, sie braucht (wie das Internet) keine. Ethik ist hinderlich, das ist die schlichte Nachricht.

Das Jahr 2012 ist nicht nur ein Turing-Jahr. Die Europäische Komission hat es zum Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen ausgerufen. Morgen beginnt in Brüssel der erste Kongress der Aktivisten und beschäftigt sich damit, wie Menschen in der digitalen Seniosphere aktiv wegschrumpeln können, damit das für sie vorgesehene Geld aus den Reserven der Krankenkassen abgeleitet werden kann. Auch der Bundshaushalt ist bar jeder Ethik. Der Frühling ist da, doch diese Pflanze wächst hier nicht. (jk)