Biodiesel vor dem Aus?

Noch unveröffentlichte Zahlen belegen, dass Pflanzenöle gegenwärtig klimaschädlicher sind als Erdöl.

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Von
  • Wolfgang Richter

Noch unveröffentlichte Zahlen belegen, dass Pflanzenöle gegenwärtig klimaschädlicher sind als Erdöl.

Diese Meldung müsste eigentlich das Aus für Biodiesel bedeuten. Anfang Februar berichtete die europäische Nachrichtenagentur EurActiv über bisher unveröffentlichte Studienergebnisse, die ihr aus dem Umfeld der Europäischen Kommission zugespielt worden waren. Danach hat Sprit aus Palmöl, Raps und Soja eine schlechtere CO2-Bilanz als Erdöl. Biodiesel aus diesen Pflanzen macht etwa 80 Prozent des gesamten Verbrauchs von Agrar-Kraftstoffen in der Europäischen Union aus – die Bedeutung der Ergebnisse ist also erheblich. Palmöl schneidet dabei am schlechtesten ab: Während Treibstoff aus Erdöl 87,5 Gramm CO2-Äquivalente pro Megajoule Heizwert in die Atmosphäre entlässt, sind es bei Diesel aus der Ölpalme 105 Gramm.

Doch wie kann das sein? Bei der Verbrennung von Biosprit entsteht ja höchstens so viel Kohlendioxid, wie die Pflanze vorher beim Wachsen aufgenommen hat – theoretisch ein Nullsummenspiel. In der Praxis kommen dazu allerdings noch Treibhausgas-Emissionen, die durch die Düngung der Felder sowie durch Herstellung und Transport des Treibstoffs entstehen. Doch die größte Umweltsünde ist es, wenn Regenwald für den Anbau von Energiepflanzen gerodet wird. Denn dass die tropischen Waldgebiete nicht nur eine einzigartige Artenvielfalt besitzen, sondern auch viel Kohlendioxid binden, ist mittlerweile unstrittig.

Die Ende 2008 beschlossene EU-Nachhaltigkeitsverordnung schreibt deshalb vor, dass Biosprit mindestens 35 Prozent CO2-Äquivalente gegenüber herkömmlichem Benzin und Diesel einsparen muss. Im Jahr 2017 setzt die EU diese Schwelle auf 50 Prozent herauf, ein Jahr später auf 60 Prozent. Dass diese Werte eingehalten werden, soll ein aufwendiges Zertifizierungsverfahren garantieren, das eine Ökobilanz für jeden Biokraftstoff aufstellt. Darin wird auch berücksichtigt, dass keine Urwälder unmittelbar für den Agro-Sprit gerodet werden dürfen ("Landnutzungsänderung").

Die erschreckenden Zahlen zur Ökobilanz von Biodiesel ergeben sich aus einem Effekt, der in den Rechnungen bisher nicht auftaucht – die sogenannte "indirekte Landnutzungs-änderung": Werden auf einem Acker Energie- statt Nahrungspflanzen angebaut, verknappt sich das Angebot an Lebensmitteln, und ihre Preise steigen. Damit erhöht sich auch der Anreiz, neue Flächen für deren Produktion zu erschließen. Und das kann aufgrund der Globalisierung überall geschehen. Oft werden dafür dann doch Regenwälder abgeholzt. Zum unwiederbringlichen Verlust einer CO2-Senke kommen in diesem Fall noch die Treibhausgase, die durch Brandrodung entstehen.

Schon bei der Ausarbeitung ihrer Nachhaltigkeitsverordnung dämmerte auch der Europäischen Kommission das Problem, weshalb sie gleich vier Studien dazu in Auftrag gab. Ihr Ziel, bis 2020 zehn Prozent des Kraftstoffbedarfs in Europa durch Energiepflanzen zu decken, tastete sie aber nicht an. Erst handeln, dann nachdenken – so kann man dieses Verhalten auf den Punkt bringen. Hinzu kommt, dass die ersten Studienergebnisse im Jahr 2009 einfach unter den Tisch gekehrt wurden: Der Anhang einer Untersuchung, an der auch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe beteiligt war, wurde von der EU-Kommission vor der Veröffentlichung herausgenommen. Dieser Dokumentationsteil nannte zum ersten Mal konkrete Zahlen, die belegten, dass es eine Korrelation gibt zwischen der Zunahme von Energiepflanzen an einem Ort und dem Verschwinden von Urwäldern an ganz anderen Stellen der Erde.

Begründet hat die EU-Kommission ihre Unterschlagung damit, dass die in der Studie verwendeten Methoden noch zu unsicher seien. Dieses Argument wird auch immer wieder von Bauernverbänden und der Energiepflanzen-Lobby vorgebracht, die vor einer Berücksichtigung der indirekten Landnutzungsänderung große Angst haben. Nach dieser Logik könnte nämlich auch der Anbau von Raps in Deutschland zur Abholzung von Regenwald in Brasilien führen – ohne dass der deutsche Bauer etwas daran ändern kann. Und es stimmt, dass an Studien zur Ökobilanz von Biosprit – zu Recht – sehr hohe Ansprüche gestellt werden: Sie müssen über genaue Daten verfügen, welche Nahrungspflanzen in welchem Land von welchen Energiepflanzen verdrängt werden. Die Wissenschaftler müssen komplexe Modelle zur Dynamik der Märkte und aufwendige statistische Methoden zur Entdeckung von Korrelationen verwenden.

Eine wegen angeblicher methodischer Mängel vielfach kritisierte Studie des "International Food Policy Research Institute" (IFPRI) aus dem Jahr 2010 erschien im Oktober vergangenen Jahres in revidierter Fassung. Raps- und Sojaöl haben demnach eine schlechtere, Kraftstoff aus der Ölpalme eine nur unwesentlich bessere CO2-Bilanz als Erdöl. Die jetzt an die Öffentlichkeit geratenen Werte stammen sehr wahrscheinlich aus den anderen bereits 2008 von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studien, deren Veröffentlichung Insider in wenigen Wochen erwarten. Die neuen Zahlen sehen gar alle drei Pflanzenöle im Minus, wobei Palmöl am schlechtesten abschneidet. Diese Unterschiede in der Rangfolge sind offenbar den komplizierten Berechnungsverfahren geschuldet. Die Ökobilanzen von Bioethanol aus Zuckerrohr und -rüben fallen übrigens aus verschiedenen Gründen immer wesentlich besser aus, der Alkohol hat aber nur einen Anteil von knapp 20 Prozent am europäischen Gesamtverbrauch von Biosprit.

Die spannende Frage ist nun, wie die Kommission zu den Zahlen Stellung nehmen wird. Eigentlich lassen sie nur einen Schluss zu: Biodiesel muss verboten werden. Oder zumindest den fossilen Kraftstoffen gleichgestellt – denn mit Klimaschutz hat dieses Geschäft nichts mehr zu tun. Was wir brauchen, ist eine evidenzbasierte Energiepolitik der EU, die nicht einfach wohlfeilen Konzepten hinterherrennt, nur um Aktivität gegen die Erderwärmung zu demonstrieren. Und die ihre Beweggründe klar offenlegt. Geht es um die Unterstützung der heimischen Landwirtschaft? In Deutschland zum Beispiel werden immerhin knapp 20 Prozent der Ackerfläche für den Anbau von Energiepflanzen genutzt. Oder will sich die Europäische Union unabhängiger von Erdölimporten machen? All das wären legitime Ziele – nur bitte nicht unter dem Deckmäntelchen des Klimaschutzes.

Sollte es aber ausschließlich darum gehen, dass es den Politikern schwerfällt, einen einmal eingeschlagenen Weg wieder zu verlassen, kann man unserem Energiekommissar nur Mut wünschen: Ziehen Sie den Tankstutzen, Herr Oettinger! (bsc)