Die Woche: Milliardär mit Open Source

Red Hat hat als erstes Open-Source-Unternehmen einen Jahres-Umsatz von über 1 Milliarde US-Dollar erzielt – gerade, weil das Unternehmen voll auf freie Software setzt.

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Von
  • Thorsten Leemhuis

Im Red-Hat-Hauptquartier in Raleigh, North Carolina herrscht dieser Tage vermutlich Feierstimmung: Das Unternehmen hat im Ende Februar abgeschlossenen Geschäftsjahr 2012 nicht nur – wie schon seit Jahren – einen soliden Gewinn erwirtschaftet, sondern erstmals auch einen Jahresumsatz von über einer Milliarde US-Dollar erzielt. Das ist bislang noch keinem auf Open-Source-Software fokussierten Unternehmen gelungen – und es ist noch keine zehn Jahre her, da wurde vielfach daran gezweifelt, dass freie Software überhaupt eine solide Grundlage für ein Unternehmen sein könnte.

Dabei wurde das aktuelle Geschäftsmodell erst vor einem Jahrzehnt etabliert: Support und Updates für die eigene, auf Unternehmenskunden ausgerichtete Linux-Distribution im Abonnementmodell. Die Distribution von Red Hat firmierte anfangs noch als "Advanced Server", wurde aber wenig später zum häufig "RHEL" abgekürzten "Red Hat Enterprise Linux", das ausschließlich aus Open-Source-Software besteht.

In den Jahren zuvor hatte das 1993 als AAC gegründete Unternehmen Geld mit der Linux-Distribution Red Hat Linux (RHL) verdient. Diese Distribution wurde unter anderem als rote Box mit CDs und Handbüchern in Buchläden verkauft. Es gab sie aber immer auch kostenlos im Netz, mit der Option, Telefonsupport dazu zu kaufen. Im Geschäftsjahr 2000 erzielte das Unternehmen mit solchen Angeboten 42 Millionen US-Dollar Umsatz.

Zu der Zeit stellte das Unternehmen gerade das als "Zoot" bekannte Red Hat Linux 6.2 fertig. Version 9 ("Shrike") war allerdings das letzte RHL: Bei seiner Ausrichtung auf Unternehmenskunden gab Red Hat die Distribution für Endanwender im Jahr 2003 auf. Stattdessen sollte das von Red Hat initiierte Community-Projekt Fedora die Linux-Distribution als technische Basis für RHEL weiterentwickeln. Das lief allerdings mehr schlecht als recht an, weil Red Hat die Zügel zu fest in der Hand behielt. Als Community-Projekt kann man Fedora wohl erst bezeichnen, seit es drei Jahre später an die Zusammenlegung von Fedora Core und Extras ging; noch heute wird das Projekt allerdings stark von Red-Hat-Interessen beeinflusst und ein Mitarbeiter des Unternehmens hat Veto-Rechte.

Die Anfänge des Fedora-Projekts waren keineswegs das einzige Mal, dass sich Red Hat durch ungeschicktes oder draufgängerisches Handeln unbeliebt in der Open-Source-Community machte. Immer wieder wurde auch vor einer Übermacht des Unternehmens in der Linux-Welt gewarnt – vielleicht ganz gut so, denn sonst wäre es womöglich tatsächlich dazu gekommen. Letztlich hat die Open-Source-Community Red Hat aber viel zu verdanken: Red Hat und seine Mitarbeiter tragen wohl mehr als jede andere Firma zur Weiterentwicklung von Open-Source-Komponenten bei, die das Rückgrat von Linux-Distributionen fü PCs bilden; darunter der Linux-Kernel, X.org, KVM, Libvirt, Gnome, Gtk und Glibc.

Red Hat stellt sämtliche eigene Software unter Open-Source-Lizenzen. Eine Ausnahme war lange der Code für das Web-basierte System-Management-Werkzeug Red Hat Network. Das hat das Unternehmen aber vor einigen Jahren geändert; mittlerweile kommt der Code auch bei der Management-Plattform von Suse Linux zum Einsatz. Auch die Software von zugekauften Firmen legt das Unternehmen letztlich offen, was allerdings manchmal eine Weile dauert. So ging aus der Management-Software für Virtualisierungsumgebungen, die sich Red Hat 2008 mit dem Kauf von Qumranet ins Haus holte, letztlich die Software des oVirt-Projekts hervor, bei dem auch Canonical, IBM, Intel, Suse und einige weitere Unternehmen mitarbeiten.

Der Kauf von Qumranet ist ein Beispiel dafür, wie Red Hat sich durch Zukäufe weitere Standbeine neben der eigenen Distribution sucht. Dabei vergisst das Unternehmen seine Wurzeln nicht und treibt die Open-Source-Idee in Bereiche, in denen freie Software noch nicht so verbreitet ist wie im Betriebssystemmarkt. Mit der auf oVirt und Teilen von RHEL basierenden Red Hat Enterprise Virtualization (RHEV) versucht Red Hat beispielsweise, dem Platzhirsch VMware Marktanteile abzujagen, der mit 3,77 Milliarden Umsatz im letzten Jahr um einiges mehr wiegt als Red Hat. Mit OpenShift, das Angebote mit Platform as a Service (PaaS) und Infrastructure as a Service (IaaS) ermöglicht, will Red Hat auch am Cloud-Markt teilhaben; dessen mit Makara eingekaufter Code soll in Kürze offengelegt werden. Im Middleware-Markt hat sich Red Hat mit dem 2006 zugekauften JBoss schon länger etabliert.

Red Hat zeigt jedoch schon seit Jahren keinen Elan mehr, mit Microsofts Windows um Endanwender zu konkurrieren. Ganz aus dem Augen gelassen hat das Unternehmen dieses Segment allerdings auch nicht, denn neben den für Firmen-Desktops wichtigen Funktionen verbessern Red-Hat-Mitarbeiter durchaus auch Software, die vornehmlich für Heimanwender interessant ist. Zudem trägt das Unternehmen zu Projekten wie OLPC (One Laptop per Child) bei.

Trotz der Ausrichtung auf Unternehmen spricht nichts dagegen, RHEL zu Hause einzusetzen – die günstigste Variante kostet 50 US-Dollar pro Jahr, und zusammen mit einigen Erweiterungen, wie man sie auch bei Fedora braucht, bietet RHEL alles, was auch andere Linux-Distributionen können. Projekte wie CentOS und Scientific Linux stellen zudem alltagstaugliche und kostenlose RHEL-Nachbauten bereit. Die werden jetzt sieben bis zehn Jahre gepflegt und bieten eine stabile Basis für Anwender, die nicht alle paar Monate ihr Betriebssystem aktualisieren wollen. Den Red-Hat-Managern sind diese RHEL-Klone allem Anschein nach kein Dorn im Auge; vielmehr klingt in Gesprächen immer wieder durch, dass dem Unternehmen durchaus bewusst ist, wie sehr diese Nachbauten zum Erfolg von RHEL beigetragen haben und dazu beitragen.

Man darf gespannt sein, wie sich das Unternehmen in den nächsten Jahre weiterentwickelt. Oracle versucht mehr und mehr, Red Hat mit einem eigenen RHEL-Klon Kunden abzujagen; seit kurzem sind sogar die Updates für Oracle Linux kostenlos erhältlich. Sicher wird das Red Hat einige Kunden kosten – vielleicht wird es aber die Marktbedeutung von RHEL und seinen Abkömmlingen noch weiter steigen, wovon Red Hat dann letztlich sogar profitieren könnte.

Es gab immer wieder Gerüchte um Pläne, Red Hat zu übernehmen, das zur Hochzeit der Dot-Com-Zeit an die Börse ging und damit viel Geld ins Rollen brachte. Mehr als Gerüchte wurde aber nie bekannt. Ein Käufer, der dem Open-Source-Gedanken nicht vergleichbar offen gegenüber steht, müsste ohnehin damit rechnen, das einige der besten Entwickler das Unternehmen verlassen würden – Red Hat beschäftigt nämlich eine ganze Reihe von Idealisten, wie lesenswerte Artikel von ars technica und der New York Times zeigen. Solche Mitarbeiter würden sich schnell nach einer anderen Stelle umsehen, wenn der Wind nicht mehr aus einer Open-Source-Software so wohlgesonnenen Richtung wehen sollte, wie es derzeit bei Red Hat der Fall ist. (thl) (thl)