US-College verbietet Wikipedia als wissenschaftliche Quelle

Als Begründung des Verbots wird von der Fakultät für Geschichte angeführt, man habe die Aufgabe, "die Verbreitung von Falschinformationen zu reduzieren".

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Von
  • Florian Rötzer

Die freie Online-Enzyklopäide Wikipedia erfreut sich großer Beliebtheit – natürlich auch bei Schülern und Studenten, um dort schnell nachzuschauen, aber gelegentlich auch mit Copy & Paste sich für eigene Arbeiten zu bedienen. Wer korrekter arbeitet, verweist auf die Quelle; umstritten ist allerdings, ob die von Internetnutzern gemeinschaftlich erstellten Wikipedia-Artikel im wissenschaftlichen Kontext überhaupt zitierfähig sind (vgl. Wikipedia: Quelle für wissenschaftliche Arbeiten?).

Im Januar hatte die Geschichtsfakultät des angesehenen Middlebury College (Vermont) beschlossen, dass Studenten in ihren Arbeiten nicht mehr aus Wikipedia zitieren dürfen. Als Folge können die Studenten nicht mehr für Fehler in ihren Arbeiten Wikipedia oder ähnliche Quellen verantwortlich machen, um ihre Note zu retten. Anlass dafür war, dass mehrere Studenten in einer Prüfungsarbeit über japanische Geschichte denselben Fehler gemacht und erwähnt hatten, die Jesuiten hätten im 17. Jahrhundert die Shimabara-Rebellion unterstützt. Die Quelle war ein Wikipedia-Artikel, in dem dies weiterhin zu finden ist. In anderen Fällen hatten Studenten ebenfalls nicht korrekte Informationen aus Wikipedia verwendet oder zitiert.

Don Wyatt, der Leiter der Fakultät, erklärte, die Lehrer hätten die Aufgabe, "die Verbreitung von Falschinformationen zu reduzieren. Auch wenn Wikipedia einigen Wert besitzt, vor allem den Wert, Studenten zu zitierbaren Quellen zu führen, ist es nicht selbst eine geeignete Quelle für Zitate." Man hatte im Kollegium darüber diskutiert, den Studenten ganz die Benutzung von Wikipedia zu verbieten, aber dann doch realistischerweise eingesehen, dass sich dies kaum durchführen ließe und man in Wikipedia auch gute bibliographische Angaben finden könne.

In einem Editorial der Studentenzeitung wird das Verbot als "Beginn der Zensur" kritisiert. Moniert wird auch die Arroganz der Akademiker gegenüber offenen, freien und demokratischen Medien, mit denen die Benutzer selbst Informationen schaffen.

Jimmy Wales, der Mitbegründer von Wikipedia, findet das Verbot, Wikipedia als Quelle für Zitate zu verwenden, nicht kritikwürdig: "Sie empfehlen eigentlich genau, was wir vorgeschlagen haben: Studenten sollten keine Enzyklopädien zitieren. Ich hoffe, dass sie auch nicht die Encyclopaedia Britannica zitieren." Nur ein Verbot, Wikipedia überhaupt zu lesen, würde er als lächerlich empfinden: "Sie könnten dann auch sagen, dass kein Rock'n'Roll gehört werden darf."

Tatsächlich sollte für angehende Wissenschaftler die Verwendung von Primärquellen zwingend sein, während Enzyklopädien nur der Orientierung dienen können. Kreativer, als Verbote auszusprechen, sind aber wohl solche Projekte an Universitäten, bei denen die Studenten beispielsweise vorhandene Wikipedia-Artikel überarbeiten oder neue schreiben. Im Middlebury College wird heute über die auch in Professorenkreisen umstrittene Entscheidung, Wikipedia nicht als wissenschaftliche Quelle zuzulassen, diskutiert. (fr)