Die Wasserstoff-Wende

Siemens will mit neuen, flexiblen Elektrolyse-Anlagen im großen Stil Wind- und Solarstrom in Wasserstoff umwandeln. Das Verfahren hat zwar einen miserablen Wirkungsgrad – ist derzeit aber ohne Alternative.

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Von
  • Kevin Bullis

Siemens will mit neuen, flexiblen Elektrolyse-Anlagen im großen Stil Wind- und Solarstrom in Wasserstoff umwandeln. Das Verfahren hat zwar einen miserablen Wirkungsgrad – ist derzeit aber ohne Alternative.

Deutschland hat ehrgeizige Energiepläne: Bis 2020 sollen ein Drittel des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen, bis 2050 sogar 80 Prozent. Dies soll maßgeblich dazu beitragen, die Treibhausgasemissionen drastisch zu senken. Gelingen wird dies allerdings nur, wenn schon bald große Mengen Energie aus Windkraft- und Solaranlage zwischengespeichert werden können, weil deren Erträge stark schwanken. Siemens will nun den Ausbau von Wasserstoff als Zwischenspeicher forcieren.

Riesige Elektrolyse-Anlagen, jede so groß wie ein Fabrikgebäude, sollen Wasser mit Hilfe von Wind- und Sonnenstrom in Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten. Das Wasserstoffgas könnte dann bei zusätzlichem Energiebedarf in Gaskraftwerken für die Stromerzeugung verwendet werden. Noch in diesem Jahr sollen zwei Pilotanlagen in Betrieb gehen. 2015 will Siemens dann mit 2-Megawatt-Anlagen an den Markt gehen. 2018 sollen bereits 250-Megawatt-Systeme zur Verfügung stehen. Die größten Anlagen sollen damit in der Lage sein, den Strom von 100 Windrädern in Wasserstoff umzuwandeln.

Die Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyse ist bisher allerdings nicht sehr effizient: Zwei Drittel des Energiegehalts gehen in herkömmlichen Anlagen verloren. Die brauchen zudem eine kontinuierliche Stromzufuhr. Die neuen Siemens-Anlagen sollen hingegen auch mit schwankender Windstromzufuhr funktionieren. Kernstück ist eine Protonen-Austauschmembran, wie sie auch in Brennstoffzellen eingesetzt wird. Die Konstruktion ist so flexibel, dass sie laut Siemens auch noch unter der doppelten bis dreifachen Last funktionieren könnte, auf die sie für den Normalbetrieb ausgelegt ist.

Die Energiewende in Deuschland sei nicht nur vom Klimaschutz motiviert, betont Miranda Schreurs vom Forschungszentrum für Umweltpolitik an der Freien Universität Berlin. Teile von Industrie und Politik seien auch überzeugt, dass erneuerbare Energien langfristig billiger als fossile Energiequellen würden. Das könnte der Bundesrepublik einen wirtschaftlichen Vorteil im internationalen Wettbewerb bringen. Deutschland sei gewissermaßen die Testumgebung, um zu prüfen, ob Industrieländer ihre Energieversorgung auf Erneuerbare umstellen könnten.

Dazu sind jedoch hierzulande neue Hochspannungsleitungen nötig, die Strom aus dem windreichen Norden in die südlichen Landesteile transportieren. Bereits jetzt ist das Netz mit einem Erneuerbaren-Anteil von rund einem Fünftel am Anschlag: Derzeit bleiben etwa 20 Prozent des Windstroms ungenutzt, weil Leitungen fehlen.

Die günstigste Lösung, um Strom zwischenzuspeichern, sind im Moment Pumpspeicherkraftwerke. Überschüssiger Strom wird dazu verwendet, Wasser in ein höher gelegenes Reservoir zu pumpen, von wo es bei Stromengpässen in Turbinen geleitet werden kann, um Generatoren anzutreiben.

Die gesamt Pumpspeicher-Kapazität in Deutschland liege bei 40 Gigawattstunden, sagt Michael Weinhold, CTO von Siemens Energy. Das reiche gerade aus, um die Strommenge aufzunehmen, die Erneuerbare Energiequellen in einer Stunde produzierten. „Die Pumpspeicherkraftwerke wurden nicht gebaut, um Energie für Stunden, Tage oder gar Wochen zwischenzuspeichern.“ Wollte man nur die gegenwärtige Pumpspeicher-Kapazität mit Akkus für Elektroautos erreichen, wären gar Millionen davon nötig.

Bei Wasserstoffgas sieht die Sache jedoch schon anders aus. Würde man es in Tanks lagern und in geringen Mengen unter das Erdgas in Pipelines mischen, ließe sich eine Wind- und Solarstromproduktion von zwei Wochen speichern. Salzstöcke als unterirdische Speicher könnten diese Menge drastisch ausweiten.

Nach Schätzungen von Siemens wären bei einem Erneuerbaren-Anteil von 85 Prozent 30.000 Gigawattstunden Speicherkapazität nötig. Um sie zu erreichen, müsste man nur ein Viertel der in Deutschland zur Verfügung stehenden Salzstöcke mit Wasserstoff vollpumpen. Der könnte dann entweder über bestehende Gaspipelines oder ein neues, eigenes Leitungsnetz verteilt werden.

Der Wirkungsgrad der neuen Elektrolyse-Anlagen liegt laut Siemens bei 60 Prozent. In Gaskraftwerken oder Brennstoffzellen würden noch einmal 40 Prozent vom Energiegehalt des Wasserstoffs verloren gehen. Die gesamte Stromausbeute betrüge dann etwa ein Drittel dessen, was ursprünglich in die Zwischenspeicherung geflossen ist. Das sei aber immer noch besser, als überschüssige Energie völlig ungenutzt zu lassen, bekräftigt Weinhold. (nbo)