WSIS: Das Internet der Dinge

Statt der Menschen werden bald die Dinge übers Netz miteinander kommunizieren, meint die ITU in einem aktuellen Report.

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Von
  • Monika Ermert

Statt der Menschen werden bald die Dinge übers Netz miteinander kommunizieren. Diese Vision entwarf Nicholas Negroponte vom MIT-Lab gemeinsam mit Cheftechnologen von Alcatel, Sun, Nokia und Microsoft. Sie stellten einen voluminösen Berichts der International Telecommunication Union (ITU) zum "Internet der Dinge" (PDF-Datei der Zusammenfassung, Bestellformular der ITU) beim zweiten Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) in Tunis vor.

"Nehmen wir einmal an, Sie wären ein Türgriff, verbunden mit dem Internet", erklärte Negroponte seine Vorstellungen. "Sie wären ein smarter Türgriff, der Türgriff an der Eingangstür. Dieser Türgriff würde wissen, wenn Sie zuhause sind. Er wäre so schlau, dass er den Hund rauslassen würde und wieder hinein, er würde aber eben nicht sechs andere Hunde ins Haus lassen. Er würde Fedex-Päckchen annehmen und signieren, wenn Sie nicht da sind."

Solche Szenarien sind nach Ansicht von Negroponte realisierbar – und zwar mit einer im ITU-Bericht beschriebenen Synthese von RFID-Technik, Sensorik, Embedded Intelligence und Nanotechnologie. Er hoffe, dass man von "dummer" RFID-Technologie schnell wegkomme. Auch die Zeiten, in denen beim Mobilfunksystem Sendemasten an Geräte funken und diese sich dann wieder zurückmelden, seien alt. "Das ist Geschichte." Beim "Internet der Dinge" würden Mesh-Netze gebildet "in denen Dinge über andere Dinge mit Dingen reden. Ein Netzwerk ist nicht mehr notwendig". Das Telefon, das klingelt, wenn man gar nicht in der Nähe ist, sei doch zum Beispiel eine blöde Idee, meinte der MIT-Wissenschaftler. Stattdessen sollte das Telefon wie ein guter alter Butler nach dem Adressaten des Anrufs suchen und das Ding, das in der Nähe ist, sollte ihm dann die Nachricht übermitteln. Die Mesh-Technologie soll auch bei der Vernetzung von Negropontes 100-Dollar-Laptop eingesetzt werden.

Alcatels Chief Technology Officer Olivier Baujard meinte dazu, vom smarten Türknauf in Negropontes Szenario sei man schon noch etwas entfernt. Durchaus verbreitet in fünf bis zehn Jahren könnten dagegen Mikrosensoren sein, die etwa Körperfunktionen überprüfen und im Falle anormaler Werte Warnungen senden. Auch das Bezahlen von Metrotickets per Mobiltelefon sei bereits im Test und werde sich durchsetzen. "Grundlegend für diese Technologie werden Standardisierungsprozesse sein", betonte Baujard

Jonathan Murray, CTO und Vizepräsident von Microsoft EMEA, sagte, sein Unternehmen teile die Vorstellung Negropontes und des ITU-Berichtes, wo es in der Zukunft hingehe. Aus Sicht von Softwareunternehmen sei das eine Chance. "Smarte Dinge brauchen Software, das ist es, was sie smart macht." Allerdings müssten sich die Entwickler auf völlig geänderte Paradigmen einstellen, etwa lange Laufzeiten bei minimalstem Stromverbrauch. Zudem müssten selbstverständlich die Datenschutzfragen geklärt werden. "Wir kennen die Datenschutzprobleme, aber Lösungen dafür haben wir noch nicht. Und das kann eine entscheidende Barriere bei der Einführung sein."

Schon jetzt sprechen die Geräte hinter dem Rücken der Nutzer miteinander, sagte John Gage, Direktor des Bereichs Wissenschaft bei Sun Microsystems. "Mobiltelefone der WSIS-Teilnehmer sagen dem tunesischen Netz, wo sie sind und wohin sie gehen." Murray meinte, dem "Ozean dieser neuen Wellen" stünden traditionelle Ansprüche etwa von Seiten der Polizei gegenüber. Die Nutzung all dieser Daten könne leicht den Einstieg in eine andere Gesellschaft bedeuten. Ein Minority-Report-Szenario müsse aber auf jeden Fall verhindert werden sagte Lara Srivastava, Programmdirektor Neue Initiativen der "ITU Strategy and Policy Unit".

Allerdings wirken manche Beispiele im ITU-Report nicht ohne weiteres vertrauenerweckend, etwa die Kennzeichnung von genetischem Material für die künstliche Befruchtung per RFID-Tags. Und was geschieht eigentlich, wenn der schlaue Türknopf versagt oder gerade mit Falschnachrichten versorgt wurde? Baujard sagte, Ausfallsicherheit und Fallback-Möglichkeiten seien entscheidend. Eine Art Technologie-Diversität, ähnlich der Biodiversität, könne ebenfalls für Robustheit sorgen. Negroponte sieht das viel optimistischer: Wenn der Türknopf nicht mehr weiter weiß, dann hat er ja die Möglichkeit, das Nachbarobjekt um Hilfe zu bitten.

Zum "Internet der Dinge" siehe auch:

Zum zweiten UN-Weltgipfel siehe auch:

Zu den Ergebnissen des 1. WSIS siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)