Paket-Umleitung

Wer nicht glauben will, dass Offline- und Online-Welt immer weiter zusammen wachsen, sollte sich mal Pakete schicken lassen.

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Es gibt Leute, die sagen, dass Offline- und Online-Welt immer weiter zusammen wachsen. Der Kollege Schwan beispielsweise schwärmte neulich ganz enthusiastisch vom Display des neuesten Apple-Tablets, das „die Barriere zwischen Mensch und Maschine“ langsam verschwinden lässt: „Man nimmt nach ein paar Stunden Lesen und Herumspielen mit dem neuen iPad nicht mehr richtig wahr, dass es sich um ein elektronisches Gerät handelt, das man in der Hand hält, der angezeigte Inhalt wird wichtiger.“

Und Google arbeitet ja jetzt an dieser Brille, die dem Träger „im normalen Alltag“ Informationen in das Gesichtsfeld einblendet: anstehende Termine, ortsbezogene Daten, Nachrichten von Freunden aus Social Networks und alles, wo sich sonst noch Werbung zu einblenden lässt.

Bislang war ich skeptisch. Anwendungen wie die Augmented Reality-Brille kamen mir doch recht künstlich vor - nach meinem Gefühl versuchen da wieder mal ein paar Techniker was zu machen, was halt geht. Ob das jemand wirklich brauchen kann? Mal sehen.

Seitdem ich, kurz vor Ostern, versucht habe, mir von einem Online-Bestelldienst ein Päckchen schicken zu lassen, bin ich allerdings doch davon überzeugt, dass die Online-Welt tiefer in unseren Alltag eingedrungen ist, als mir bislang bewusst war.

Wie das kommt? Ich habe beim Bestellen eine Packstation als Lieferadresse angegeben. Die nächste Packstation ist bei uns im Stadtteil in der örtlichen Postfiliale. Für alle die, die sowas schon nicht mehr kennen: Das sind verhältnismäßig große Dienstleistungszentren, in denen die verschiedensten Post-Dienste (Briefmarken kaufen, Briefe und Pakete aufgeben, Geld abheben, Schließfächer ausräumen usw.) zentral angeboten wurden - beziehungsweise teilweise noch werden. Man muss das den jungen Leuten ja erklären, die nur die die Paketannahme im Copy-Shop um die Ecke kennen - aber ich schweife ab.

Wie gesagt: In der Post steht eine Packstation: So ein großer Automat mit vielen Fächern. Man kann sich im Internet registrieren, bekommt eine Plastikkarte mit Nummer und PIN, kann da dann seine Pakete hinliefern lassen, und sie bei nächster Gelegenheit abholen. Ist praktischer als der Nachbar, der zwar tagsüber öfter da ist als ich, aber Abends nicht, wenn ich das Päckchen in Empfang nehmen will.

Klappte auch alles soweit ganz prima, aber am übernächsten Tag rief mich der Zusteller an. Er könne das Päckchen nicht zustellen, was er denn machen sollte. Warum nicht, fragte ich ihn. „Die Option Packstation ist nicht anwählbar“, antwortete der Mann. Im Ernst. „Nicht anwählbar.“ Ich stellte mir vor, wie ganze Bereiche der Realität quasi ausgegraut sind. Man zieht das Menü auf, und sieht den Befehl „Paket zustellen“, aber der Menüpunkt ist nicht aktiv. „Jetzt ist es soweit“, dacht ich und versuchte dem Mann eine spezifische Fehlermeldung zu entlocken, aber ohne Erfolg. Was er denn jetzt machen sollte, fragte er wieder, und da dämmerte mir erst: Ich kann ja auch meine Heimatadresse als Auslieferungspunkt angeben. Vielleicht sind ja auch die Nachbarn da, dachte ich - denn ich konnte das Päckchen nicht annehmen, denn ich war ja bei der Arbeit.

In der guten alten Zeit hat der Postzusteller Pakte, die er nicht zustellen konnte, beim örtlichen Postamt abgeliefert. Da, wo jetzt die Packstation steht. Das ist der Fortschritt. Ich warte nur auf die nächste System-Version, wo das Paket dann automatisch in die nächste, freie Packstation geroutet wird - wie ein Datenpaket. Wenn man Pech hat, muss man das Ding dann durch die halbe Stadt verfolgen. Das Internet hat - nicht auf der technischen, sondern auf der symbolischen, geistigen Ebene - die Leute soweit absorbiert, dass sie sich verhalten, wie intelligente Maschinen. Der Gedanke ist nicht wirklich tröstlich.

(wst)