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Was war. Was wird.

Muss man die Piratenpartei mögen? Muss man nicht. Angesichts der Demokratie-Ignoranz und Arroganz der sogenannten etablierten Parteien darf man es aber ohne weiteres, grübelt Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** gtfo? Soi, soi soi soi, die Osterhasen hoppeln weg, wenn die ROFLCOPTER durch die Luft schwirren, weil empörte Bürger auf die blutige Geschichte von Schwarzbart und Störtebecker aufmerksam machen. Welch blutige Geschichten mit christlichen Vorzeichen in der Vergangenheit geschrieben wurden, sei hier lieber nicht ausgeführt. Dabei ist "Roflcopter gtfo" noch harmlos. Man denke nur an den 4chan-Thread vom armen von der Polizei verfolgten Mann, dem ein genreübliches "Tits or gtfo" in höchster Not zugerufen wurde, komplett mit einem Auftritt im Fernsehen, was dem Mem von einem Gorilla-Fetisch Zucker gab und ebenfalls ausgestrahlt. Alles nur wegen gtfo! omg!

*** Nein, man muss die Piratenpartei nicht mögen. Wirklich nicht. Bedenkt man indes, was die etablierten Parteien gerade anstellen, so ist der Aufstieg der Piraten unvermeidlich. Christlich, sozial und frei wollen sie sein und arbeiten doch nur an der Entmündigung des Einzelnen. CDU/CSU, SPD und FDP planen einen Maulkorberlass für das Parlament, nach dem nur noch von den Fraktionen eingeteilte Redner sprechen können. Aus dem Abgeordnetenhaus wird ein Fraktionshaus, in dem Disziplin wichtiger ist als die Debatte. Der raketenmäßig geschockte nordkoreanische Volksdelegiertenkongress schickt sicher Grüße im Namen der Effektivität. Der nächste Schritt ist klar: Man ersetze die Politiker durch von Wasser polierte Steinstücke, dann ist die Effizienz noch größer.

*** Die Grünen, die Linke und eben die Piratenpartei haben sich gegen die Einführung der Fraktokratie in Deutschland ausgesprochen. Vielleicht werden solche Vorschläge von CDU/CSU und SPD nur gemacht, um noch mehr Stimmen für die Piraten zu generieren, vor der großen schläfrigen Bundeskoalition, die uns dann droht. Dass die Piraten und nicht die Grünen oder Linken dabei der große Gewinner sind, hat aber auch viel mit der brachialen Rhetorik zu tun, die gegen die Piraten ins Feld geführt wird. Vom unflätigen Gegeneinanderausspielen ist da die Rede, wenn es ums Urheberrecht geht und vom Pöbel. Ja, das Wort vom Shitstorm hat diese Woche eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Dazu gibt es eine Lektion in Sachen Copy and Paste: Was Lobbyorganisationen den Parteien ins Wahlprogramm schreiben, wird ausgeklammert.

*** Die Piratenpartei kommt bei jüngeren Wählern angeblich darum an, weil sie ihr Lebensgefühl anspricht. Lebensgefühl? Dieses Wort aus dem Phrasenbeutel der Reisejournalisten verschleiert, welchen Stellenwert IT im Alltag vieler Menschen hat. Das hat wenig mit ROFL, Shitstorm und Twitter zu tun, schon gar nichts mit Sofortness und Jederzeitintelligenz, sondern sehr viel mit Tools wie Liquid Feedback, mit denen Politik ganz anders laufen könnte als nach dem Diktat von Geschäftsführern. Der verächtliche Unterton, mit dem die IT-Lastigkeit der Piraten kommentiert wird, gibt zu denken. Wie geht das zusammen, der deutsche Stolz auf das erfolgreiche Geburtstagskind SAP, das Systeme, Anwendungen und Programme neu definierte, und dieser absolute Unglaube, wenn IT-erfahrene Menschen die Maschinerie der Politik in Systeme, Anwendungen und Programme zerlegen? "In bestimmten Regionen ist das alles so verschaltet: Du drückst einen Knopf hier – und ganz da hinten bewirkt das eine Reaktion", so Exminister Töpfer im offline verfügbaren Wochenend-Interview der Süddeutschen Zeitung über das ganz deutlich erfahrbare "Netz der Verflechtungen und Informationen", aus dem Politik besteht. Wer hier mit Transparenz und Feedback kommt, kommt mit eigentlich mit Begriffen aus der Kybernetik als Steuertechnik. Erinnert sei an den deutschen Kybernetiker Georg Klaus, der ein universales Steuersystem in der DDR einführen wollte, auch in der Politik. Dann sei es möglich, sofort jede Wahlfälschung zu beweisen, behauptete Klaus - und wurde zum Schreiben von Wörterbüchern verdonnert.

*** Das größte Ärgernis in der Diskussion über die Piraten ist nicht die völlige Überbewertung der idiotischen Sonntagsfrage, sondern die Behauptung der Gegensätze vom digitalen und analogen Leben. Bis aufs Weitere ist der von Ray Kurzweil beschworene magische Moment der Evolution nicht in Sicht, an dem wir unser Hirn auf die Festplatte oder in die Cloud kopieren und den Körper verwesen lassen. Bei aller Sofortness gehen wir immer noch aufs Klo und leben dennoch digital. Es gibt keinen vom Meatspace getrennten Cyberspace. Nichts ist seltsamer, als einen am Blackberrytropf hängenden Politiker über das digitale Leben der Jugend oder von einer digitalen Parallelwelt schwadronieren zu hören. Auch der anlässlich der Eröffnung des EU-Centers gegen Cybercrime übermittelte Satz der EU-Komissarin Cecilia Malmström vollzieht diese Unterscheidung: "Wir dürfen nicht zulassen, dass Cyber-Kriminelle unser digitales Leben zerrütten." Der Unsinn wird dann klar, wenn im "digitalen Leben" durch Phishing das Girokonto zerrüttet wird und die Geldausgabe im realen gestört ist. Immer spielt die Theorie der zwei Welten mit der Angst derer, die nicht verstehen wollen, warum das Digitale in einem viel umfassenderen Sinn längst real ist .

*** Es gibt ja viele wohlfeile Argumente, die immer wieder gegen das Leben in der digitalen Welt vorgebracht werden. Die dumpfbackige Kritik an den Nerds, die auf dem Smartphone den Wetterbericht lesen, statt aus dem Fenster zu sehen, hat was von "Hach, guck mal, die lieben Kleinen..." Wer dann im Regen steht, muss sich über die Schadenfreude eben dieser lieben Kleinen nicht wundern. Wer die Benutzer der Werkzeuge lächerlich macht, statt den Nutzen und die Wirkungen der Werkzeuge einschätzen zu können, wird später von denen beherrscht, die außer den Werkzeugen nichts mehr wahrnehmen. Das Kopfschütteln auf beiden Seiten der angeblichen Analog/Digital-Dichotomie ist ja eigentlich nur ein Symptom dafür, was in Wirklichkeit nicht begriffen wird: die nahtlose Integration von analoger und digitaler Welt. Die Fronten aber scheinen sich immer weiter zu verhärten zwischen denen, die angeblich in Digitalien leben, und denen, die das mit Skepsis sehen. Beide Seiten verpassen aber in diesem Fall die Chancen, die sich bieten. Wobei als rückwärtsgewandt ja meist nur diejenigen dastehen, die die analoge Welt gegen die digitale ausspielen wollen. Rückwärtsgewandt erscheinen mir aber auch diejenigen, die "der anderen Seite", die noch rein in der analogen Welt lebt, jede Mitsprache abstreiten: "Lasst uns in Frieden, ihr habt ja eh keine Ahnung." Als ob diejenigen, die von sich behaupten, Ahnung zu haben, schon deswegen Entscheidungsrecht zustünde. Man kann es eigentlich nicht oft genug wiederholen: Eine Meritokratie oder gar eine Expertendiktatur, die Platons Staatsverständnis und sein Ansinnen der Philosophenherrschaft auf moderne Zeiten transferiert, ist schlicht eine Vorstellung, die Brechreiz bereitet..

*** Was bleibt? Nicht viel. Außer im Schmutz zu wühlen. Denn: Nach Waldarbeiter, Milchbauer, Soldat und Arbeiter auf einer Ölplattform ist Journalist der fünftdreckigste Beruf der Welt. Wie immer hat das seine zwei Seiten: Es verwundert dann auch nicht, dass manche Journalisten den dreckigen Fakten aus dem Weg gehen ...

Was wird.

Ach Transparenz! Wie lautete noch der Anspruch von Wikileaks? Der offizielle Trailer der Serie von Interviews ist draußen, mit denen Julian Assange die Welt von morgen erklären möchte. Am Dienstag startet die Show im putinfreundlichen russischen Fernsehen, in den USA sollen einige Kabelsender von Comcast und Time Warner Interesse an einer Übernahme haben. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Twitter werden uns Interviews mit Noam Chomsky, Tariq Ali, Nabeel Rajab, Moazzam Begg, Anwar Ibrahim und Moncef Marzouki über die ganze Schlechtigkeit der Welt aufklären. Wie schlecht sie ist, kann einer Klage entnommen werden, die der mit Preisen überhäufte australische Journalist Assange beim britischen Presserat (PDF-Datei) eingereicht hat. Praktisch jeder dort erschienene Bericht über Assange wird von Assange gerügt, weil ihm die Wortwahl nicht passt. Neben den Ungenauigkeiten, dass Schweden nach seinen Sex-Eskapaden eben keine Klage erhoben hat und die Vorwürfe erst untersuchen will, sollen Berichte falsch sein, nach denen er eine Auslieferung an die USA befürchtet. Alter Schwede, könnte man rufen, doch im Zeitalter der Roflcopter verstehen die wenigsten das Schimpfwort aus dem 30jährigen Krieg. (jk)