Hintergrund: Was Adobe sich von der Macromedia-Übernahme verspricht

Nach der Übernahme von Macromedia dürfte Adobe kaum mehr Konkurrenz auf dem professionellen Grafiksektor zu befürchten haben.

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Nach der Übernahme von Macromedia durch Adobe für 3,4 Milliarden US-Dollar dürfte Adobe kaum mehr Konkurrenz auf dem professionellen Grafiksektor zu befürchten haben. Kartellrechtliche Probleme sehen Adobes CEO Bruce Chizen und Macromedias Vorsitzender Stephen Elop aber nicht. Das sagten beide heute in einer Telefonkonferenz.

Laut Chizen verfolgt die Fusion in erster Linie strategische Ziele -- man wolle eines der größten Softwarehäuser der Welt aufbauen. Zusammen könnten beide Firmen schneller wachsen als getrennt voneinander. Adobe und Macromedia hätten ähnliche Vorstellungen, wie Lösungen für effiziente, interaktive und sichere Kommunikation aussehen könnten, fügte Chizen hinzu. Beide Firmen arbeiteten zudem höchst profitabel, was den Ausschlag für die Übernahme gegeben habe. Elop betonte das solide Wachstum von Macromedia und ergänzte, derzeit sei die Möglichkeit extrem günstig, Synergieeffekte zu erzielen und Kosten einzusparen.

Macromedia-Aktionäre erhalten im Rahmen eines steuerfreien Umtauschs basierend auf dem Kurs von Freitag, dem 15. April 2005, für jede ihrer Stammaktien 0,69 Adobe-Aktien. Die Adobe-Anteile lagen am Freitag bei 60,66 US-Dollar, die von Macromedia bei 33,45 US-Dollar. Der angebotene Wert von 41,86 US-Dollar liegt damit 25 Prozent über dem der Macromedia-Aktie. Analysten schätzen den Umsatz für das zweite Quartal 2005 bei Adobe auf etwa 490 Millionen, bei Macromedia auf 111 Millionen US-Dollar. Nach der Übernahme soll der Jahresumsatz bei 2,1 Milliarden US-Dollar liegen.

Der Name des neuen Unternehmens wird Adobe Systems Incorporated lauten; Adobe will Macromedias Strukturen in die eigenen integrieren. Der Firmensitz soll in San Jose bleiben, Macromedias bisheriger Standort in San Francisco erhalten bleiben. Bruce Chizen bleibt CEO von Adobe Systems und Shantanu Narayen behält seinen Posten als Chief Operating Officer (COO). Stephen Elop, der bisherige Macromedia-CEO, übernimmt die neu geschaffene Rolle als Worldwide Field Operator. Sofern die Aktionäre zustimmen, soll die Übernahme im Herbst zum Abschluss kommen. Bis dahin arbeiten beide Konzerne getrennt weiter.

Die Marken von Adobe und Macromedia sollen erhalten bleiben. Informationen über die Zukunft der Flaggschiffe, Adobes Creative Suite und Macromedias Studio MX, blieben Chizen und Elop vorerst schuldig. In der Vergangenheit pflegte Adobe übernommene Konkurrenzprodukte wie zum Beispiel den Pagemaker und den Framemaker, beides DTP-Programme, noch einige Jahre weiter, um sie dann zugunsten einer eigenen Lösung, in diesem Fall InDesign, einschlafen zu lassen. Branchenkenner vermuten, das eine oder andere Macromedia-Produkt könnte ein ähnliches Schicksal erleiden.

Auf die Frage, wie die Konzernführung den kartellrechtlich bedenklichen Konflikt zwischen den Vektorgrafikprogrammen Illustrator und Freehand, einst Erzfeinde, lösen wolle, antwortete Chizen: "Da sehen wir kein Problem. Es gibt schließlich eine Menge weiterer Konkurrenten wie das deutsche Produkt KIllustrator." Dass dieses gar nicht mehr weiterentwickelt wird, erwähnte er nicht.

Von der Fusion versprechen sich Adobe und Macromedia vor allem im Nicht-PC-Bereich, etwa bei Set-Top-Boxen und im mobilen Sektor, gute Chancen. Narayan wies auf eine mögliche Verzahnung der Echtzeitfunktionen von Macromedias Web-Konferenzsystem Breeze mit PDF hin.

Tatsächlich haben die beiden Hersteller zwar viel gemeinsam, doch unterscheiden sich die konkreten Ausrichtungen durchaus. Bei der professionellen Bildbearbeitung (Photoshop) und im Video-Authoring-Sektor (Premiere, After Effects, Encore DVD) hat Adobe klar die Nase vorn. Dafür punktet Macromedia bei Mobilgeräten und im Web-Authoring-Markt. Mit Flash und PDF (Portable Document Format) haben beide Hersteller etablierte Formate im Rennen: Macromedias Vektoranimationsformat Flash beherrscht mittlerweile auch Videofunktionen und findet auf Smartphones wachsende Verbreitung. Adobes PDF ist dagegen nicht mehr aus dem Web, geschweige denn aus dem Print-Sektor wegzudenken.

Mit GoLive und LiveMotion kämpfte Adobe vergeblich gegen Dreamweaver und Flash an, Macromedia konnte hingegen im umsatzträchtigen Grafik-Sektor nie so recht Fuß fassen, trotz des ambitionierten Fireworks. Bisher versuchten beide Hersteller stets, einander mit neuen Features Anwender streitig zu machen -- ganz im Sinne der Konkurrenz, die das Geschäft belebt. Nun ist ein großer Konkurrent aus dem Weg geräumt. (akr)