Mottenauge

Gängige Antireflexbeschichtungen von Schutzglas etwa auf Displays oder Kameras führen entweder zum Weichzeichnen der Informationen oder sind mit einem hohen Aufwand verbunden. Im Frühjahr präsentierte Sharp eine Nanotechnik-Folie, die eine deutliche Reflexminderung mit wenig Aufwand verspricht.

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Von
  • Dieter Michel
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Lichtreflexe stören nicht nur bei glänzenden Bildschirmoberflächen, sondern auch bei Fotoobjektiven, in Glas gerahmten Bildern und Displays fast jeder Art. Eine einfache Glas-Luft-Grenzfläche reflektiert je nach Glassorte circa 4 bis 5 % des einfallenden Lichts und ist deshalb bei starken Fremdlichtquellen nicht gerade optimal, wenn es um Reflexarmut geht.

Als Schutz vor widrigen Umwelteinflüssen ist aber oft eine transparente und gleichzeitig widerstandsfähige Abdeckung notwendig. Die verwendeten Materialien wie Sicherheitsglas, schlagfeste Polycarbonat- oder Polyacryl-Kunststoffe, etwa Makrolon oder Plexiglas bieten zwar den gewünschten mechanischen Schutz, aber um deren Reflexionseigenschaften zu verbessern sind weitere Maßnahmen erforderlich.

Gängig ist bislang eine Antireflexbeschichtung der Oberflächen, die auf dem Prinzip der destruktiven Interferenz, der gegenseitigen Aufhebung der Reflexionen funktioniert. Der japanische Hersteller Sharp präsentierte nun auf der diesjährigen Integrated Systems Europe in Amsterdam eine Antireflexfolie, die sich dagegen den sogenannten Mottenaugen-Effekt zunutze macht und ausgesprochen niedrige Reflexionswerte erreichen soll.

Die Reflexionseigenschaften an einer Glas-Luft- beziehungsweise Kunststoff-Luft-Grenzfläche werden durch den Brechungsindex n der Luft (n=1) und des optisch dichteren Materials wie Glas oder Kunststoff bestimmt, der bei den gängigen Materialien für Schutzscheiben im Bereich zwischen 1,5 und 1,6 liegt. Der eingangs erwähnte Reflexionsfaktor von etwa 5 % für eine solche Grenzfläche ist also im Wesentlichen eine Materialeigenschaft, die sich aber bei Glas und Kunststoff kaum unterscheidet.

Wer mit den Spiegelreflexen einer glatten Scheibenoberfläche nicht leben kann oder will, muss deshalb zu reflexionsmindernden Maßnahmen greifen. Zu den gängigen Verfahren zählen die Mattierung oder eine Antireflexbeschichtung der Oberfläche. Die Mattierung besteht normalerweise in einer leichten Aufrauung der Oberfläche und bewirkt nicht, dass weniger Licht reflektiert wird. Sie verteilt vielmehr das reflektierte Licht über einen größeren Raumwinkel und sorgt dafür, dass die verbleibenden Reflexe keine Informationen mehr tragen, gespiegelte Objekte also nicht erkennbar sind. Als Nachteil führt die Mattierung auch zu einer Weichzeichnung der eigentlichen Nutzinformation, und zwar umso mehr, je stärker die Mattierung und je größer die Distanz zwischen mattierter Scheibe und den eigentlichen Bildern ist.

Ist dieser Weichzeichnungseffekt nicht tolerabel, kann man zu einer Antireflexbeschichtung greifen. Sie arbeitet nach dem Prinzip der destruktiven Interferenz. Dabei trägt man auf die zu behandelnde Oberfläche – hier die Schutzscheibe – eine sehr dünne Schicht eines transparenten Materials auf. Das führt dazu, dass sowohl die Grenzfläche zwischen Luft und Antireflexschicht als auch die zwischen Antireflexschicht und Schutzscheibe das Licht reflektiert. In welchem Ausmaß dies geschieht, hängt wie zuvor von den Brechungsindizes der beteiligten Materialien ab. Darüber hinaus sind die Wellenzüge der an den beiden genannten Grenzflächen reflektierten Lichtwellen geringfügig gegeneinander versetzt, und zwar bei senkrecht einfallendem Licht um die optische Weglänge, die es in der Antireflexschicht zurücklegt (2 · Schichtdicke · Brechungsindex).

Ziel ist es, Brechungsindex und Schichtdicke der Antireflexschicht so einzustellen, dass die reflektierten Lichtwellen gerade gegenphasig sind und sich auf diese Weise gegenseitig auslöschen. Streng genommen gelingt das nur für eine Wellenlänge und einen Lichteinfallswinkel, in der Praxis gibt es aber auch bei nicht hundertprozentiger Abstimmung einen deutlichen reflexmindernden Effekt.

Bei Fotoobjektiven, bei denen Lichtreflexe besonders stören, treibt man durch eine Mehrschichtvergütung den Aufwand besonders hoch. Für spezielle Schutzgläser, wie Conturan von Schott, kommt eine Mehrschicht-Entspiegelung zum Einsatz, die durch ein spezielles Tauchverfahren mit anschließendem Einbrennen aufgebracht wird und daher auch für große Flächen einsetzbar ist. Mit solchen Antireflexbeschichtungen lässt sich der Reflexionsfaktor an der Glas-Luft-Grenzfläche deutlich senken, im Falle von Conturan auf Werte um 0,45 % pro Grenzfläche.

Wie bei einem Mottenauge sind die Noppen von Sharps Antireflexfolie kleiner als Lichtwellen (Abb. 1).

Es gibt aber noch ein weiteres Verfahren zur Reflexminderung, dass nach einem ganz anderen Konzept arbeitet und sich dabei an Vorbildern in der Natur orientiert. Das Stichwort dazu lautet „Mottenaugen-Effekt“. Um nachts möglichst viel Licht einfangen zu können, sind Mottenaugen reflexmindernd ausgestattet. Unter dem Elektronenmikroskop erkennt man eine sehr feine, transparente Noppenstruktur der Augenoberfläche, wobei das Rastermaß dieser Noppen kleiner ist als die Wellenlängen sichtbaren Lichtes. Das führt dazu, dass der Brechungsindex der Luft mehr oder weniger fließend in den des Mottenauges übergeht, wobei die Lichtausbreitung nicht gestört wird, weil die Noppen kleiner sind als die Lichtwellenlänge. Durch den gleitenden Übergang der Brechungsindizes gibt es keine scharf definierte Grenzfläche, was die Lichtreflexion stark mindert und wodurch ein Maximum an Licht in das Mottenauge dringen kann.

Eine technische Umsetzung dieses Konzeptes erfordert modernste Nanotechnik, denn eine solche Noppenstruktur muss feiner sein als 380 nm, die kürzeste Wellenlänge sichtbaren Lichtes. Diese Feinstruktur besitzt Sharps Antireflexfolie aus Kunststoff. Winzige, submikrometergroße Kegelstrukturen auf der Oberfläche bewirken einen quasi fließenden Übergang des Brechungsindex der Luft auf den des Kunststoffmaterials und eine drastische Verringerung der Lichtreflexion an der Grenzfläche.

Eine erste Probe des neuen Materials gab es in Form einer fertig mit einer Haftschicht versehenen Folie, die man einfach auf eine Glas- oder Display-Oberfläche aufbringen kann. Für eine erste Messung diente eine Schwarzglasplatte – schwarz, um die Reflexion von der Rückseite zu eliminieren und so nur die erste Glas-Luft-Grenzfläche zu messen. Für das Ermitteln des Reflexionsfaktors kam ein Konica Minolta CM-2002 Spektroradiometer zum Einsatz. Die Messung der unbehandelten Platte, also inklusive Spiegelreflexion, gab gewissermaßen den Worst Case für ein Glare-Display wider.

Der Reflexionsfaktor der Super-Low-Reflection-Folie liegt fast um den Faktor 20 unter dem der unbehandelten Schwarzglasscheibe (Abb. 2).

Erwartungsgemäß ergibt sich im unbehandelten Zustand der Glasoberfläche ein Reflexionsfaktor von ziemlich genau 5 %. Nach Aufbringen der Antireflexfolie sinkt dieser Wert drastisch auf etwa ein Zwanzigstel dieses Werts, und zwar genau auf 0,26 %. Dieser Wert und auch der wellenlängenabhängige Verlauf des Reflexionsfaktors entspricht ziemlich genau den Spezifikationen, die Sharp für die Antireflexfolie im Datenblatt mit 0,2 bis 0,3 % angibt. Damit liegt die „Super Low Reflection“ genannte Technik fast um einen Faktor zwei unter den Reflexionsfaktoren gängiger Mehrschicht-Antireflexbeschichtungen für Display-Schutzgläser – ein ausgesprochen respektabler Wert.

Auf der Sollseite steht, dass die feine Nano-Kegelstruktur mechanisch empfindlicher ist als andere Antireflexfoliebeschichtungen. Sharp gibt die Oberflächenhärte mit 2H an, was wie eine Bleistifthärte klingt. Dem ist tatsächlich so, denn die Prüfung der Oberflächenhärte einer Beschichtung nach JIS K5600 (oder ISO 15184) wird tatsächlich mit Bleistiften definierter Härte und definierten Testbedingungen (Andruckkraft, Form der Bleistiftspitze) durchgeführt. Das Ergebnis bezeichnet diejenige Bleistifthärte, die gerade noch keine Beschädigung der Oberfläche hervorruft. Mit 2H ist die Sharp SLR-Folie zwar kein Ausbund an Oberflächenhärte, aber durchaus in guter Gesellschaft mit Rückprojektionsfolien und vielen resistiven Touchscreen-Oberflächen.

Unterm Strich stellt Sharps „Super Low Reflection Technology“ eine ausgesprochen wirksame Ergänzung gängiger industrieller Verfahren zur Reflexionsminderung von Schutzgläsern und Display-Oberflächen dar, zumal sie ohne aufwendige technische Verfahren durch Auflaminieren einer Folie auf die zu behandelnde Fläche verwendbar ist. Für Oberflächen, die nicht ständig hohen mechanischen Beanspruchung ausgesetzt sind, dürfte sich das Verfahren bereits in seinem jetzigen Zustand eignen. Dem Vernehmen nach wird die Folie in einer Breite von 1 Meter produziert. Dadurch sollte sie sich auch für große Display-Formate bis 80 Zoll eignen.

arbeitet als freier DV-Journalist und ist Chefredakteur der Fachzeitschrift Prosound. (sun)