Verantwortlichkeit im Internet: Wer soll die Zeche zahlen?

Providern, Online-Portalen und anderen Mittlern im Netz steht möglicherweise eine neue Debatte um die Verantwortlichkeit für Inhalte im Internet bevor.

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Von
  • Monika Ermert

Steht Providern, Online-Portalen und anderen Mittlern im Netz eine neue Runde in der Debatte um die Verantwortlichkeit für Inhalte bevor? Beim WIPO-Seminar zur gegenwärtigen Rechtslage und dem wachsenden Kampf zwischen Rechtinhabern und Online-Piraten war man sich noch nicht einig darüber, ob die Mittler im Netz -- die so genannten Intermediaries -- künftig stärker in die Verantwortung genommen werden sollen.

"Wir brauchen eine neue internationale Regelung", sagt Lillian Edwards, Rechtswissenschaftlerin von der Universität Edinburgh, die eine ausführliche Studie zu den Mittlern im Netz präsentierte. Auch wenn diese Meinung im Zeitalter der Selbst- und Koregulierungsregime nicht gerade populär sei, so sei sie doch aus Sicht der Wissenschaft angezeigt. Denn die Tage, in denen die Provider staatlichen Schutzes bedurft hätten, seien vorbei, die Branche sei gefestigt. Auf der anderen Seite aber müsse der massiven Raubkopiererei begegnet werden.

Providern seien durch Gesetzgebung wie dem US-Urheberrechtsgesetz Digital Millennium Copyright Act (DMCA) oder die EU-E-Commerce Direktive vor Ansprüchen von Seiten der Rechteinhaber geschützt worden, sofern sie brav an Verfahren teilnehmen, bei denen sie nach Benachrichtigung beanstandetes Material aus dem Netz nehmen (Notice-and-Take-Down-Verfahren, NTD). Dabei zeige sich aber, dass die Mittler und Endnutzer nicht dieselben Interessen haben: "Das Kernproblem ist: Inwieweit funktioniert dies als private Zensur und schränkt freie Inhalte ein?", fragte sich Edwards.

Rund 70 Prozent der niederländischen Provider beispielsweise überprüfen laut einer Studie die Take-Down-Aufforderungen gar nicht mehr. Das Oxford Internet Institute machte die Probe aufs Exempel und schickte ein NTD-Aufforderung für den Klassiker "On Liberty" von John Mill an Provider in Großbritannien und den USA. "Alle US-Provider nahmen das ohne weiteres vom Netz", sagte Cory Doctorow, Science-Fiction-Autor und EU-Affairs-Koordinator der Electronic Frontier Foundation. Die EFF dokumentiert mit ihren Chilling-Effects-Projekt die Auswüchse des NTD-Verfahrens aus dem DMCA. "Das System ist eine Einladung zum Missbrauch." Die hohe Zahl von Aufforderungen bestätigten Verizon-Justitiarin Sarah Deutsch -- die freilich neue Verantwortlichkeiten für die Provider ablehnte -- und eBay-Jurist Jyrky Nikula, der vom Outsourcing der Take-Down-Briefaktionen an Prämienjäger berichtete.

Deutsch griff besonders eine Initiative der Motion Picture Association zu einem Code of Conduct für Provider an. Mit diesem sollen sich die Provider darauf festlegen, gemeinsam mit der Unterhaltungsindustrie nur für "legale Angebote" zu werben, in Nutzerverträge bereits die Zustimmung zur Weitergabe der persönlichen Daten für den Fall von Urheberrechtsverletzungen zu vereinbaren und gestaffelte "Bestrafung" für die Verdächtigten zu installieren: von der Warnmail über die zeitweilige Sperrung bis zur Beendigung des Vertrags. Außerdem sollen "Verfahren, die die Identifizierung der Rechteverletzer gegenüber entsprechenden Organisationen der Rechteinhaber" gewährleisten, entwickelt werden. Darüber hinaus soll es "Techniken zur Identifizierung einschließlich der Aufbewahrung von Daten und Beweisen" geben und auch "Filtertechnologien, um Rechte-verletzende Aktivitäten und Seiten zu blocken".

Das Papier des Filmindustrieverbands ähnelt stark einem Abkommen zwischen der französischen Regierung, der Musikindustrie und Frankreichs Providern, das Stephane Marcovitch von der französischen ISPA vorstellte. Markovitch berichtete, dass derzeit auch Verhandlungen mit der Filmindustrie laufen, allerdings müssten diese wie auch die Musikindustrie ebenfalls ein Mindestangebot von legalen Angeboten zur Verfügung stellen. Ted Shapiro von der Motion Picture Associaton betonte, dass das zirkulierende Papier erst einmal eine Art von "Wunschliste" sei. Bei der WIPO-Veranstaltung wurde es allerdings nicht offiziell präsentiert. Shapiro sagte mit Blick auf eine neue internationale Gesetzgebungsrunde bei der WIPO, dass diese angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen kaum Aussicht auf Erfolg haben dürfte.

"Dieser sogenannte freiwillige Kodex verletzt geltendes Recht", warnte allerdings Deutsch; der Kodex versuche, unter der Maske von "soft regulation" den für Provider gesetzlich garantierten Schutz vor einer Verantwortung für Dritte aushebeln. Deutsch verwies darauf, dass sowohl im DMCA wie in der E-Commerce-Direktive grundsätzlich festgehalten wurde, dass es keine Verpflichtung zum kontinuierlichen Monitoring geben dürfe. Ein Gesetz in Pennsylvania, das Provider dazu verpflichtete, Kinderpornographie zu filtern und zu blocken, wurde kürzlich von einem US-Gericht für verfassungswidrig erklärt.

Das bestätigte Tereza Struncova, Juristin bei EU-Abteilung Binnenmarkt und Services. Die Kommission arbeitet bereits am zweiten Bericht zur Umsetzung der E-Commerce-Direktive und sammelt daher laut Struncova Erfahrungsberichte aus den Mitgliedsländern. Die Düsseldorfer Sperrverfügungen gegen Provider, erklärte Struncova, könnten mit Blick auf das Verbot von Monitoring-Verpflichtungen ein Problem darstellen. Gegenüber heise online sagte Struncova: "Wir anerkennen das Recht der Mitgliedsstaaten auf Einzelverfahren. Ein reguläres Verfahren, das viele Provider und viele Inhalte kontinuierlich checkt, würde den Bestimmungen der Direktive allerdings widersprechen." (Monika Ermert) / (jk)