Die Neuvermessung der Städte

Software für Lokalpatrioten: Das Projekt "Livehoods" analysiert anhand von Daten des Online-Dienstes Foursquare-, wie weit sich Stadteile tatsächlich erstrecken – und was das wesentliche eines Quartiers ausmacht. Die Ergebnisse weichen von den gängigen Ansichten der Bewohner mitunter deutlich ab.

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Von
  • Rachel Metz

Software für Lokalpatrioten: Das Projekt "Livehoods" analysiert anhand von Daten des Online-Dienstes Foursquare-, wie weit sich Stadteile tatsächlich erstrecken – und was das wesentliche eines Quartiers ausmacht. Die Ergebnisse weichen von den gängigen Ansichten der Bewohner mitunter deutlich ab.

Was einen Stadtteil definiert, ist nicht immer leicht zu sagen. Die Bewohner selbst mögen eine Vorstellung von ihrer Nachbarschaft haben und etwa das East Village in New York oder Kreuzberg in Berlin als „alternativ“ einordnen. Eine objektive Beschreibung ist dies jedoch nicht. Stadtentwickler, Gewerbetreibende oder die Immobilienbranche werden jeweils eigene Einschätzungen über diese Viertel haben. Forscher der Carnegie Mellon University (CMU) wollen nun mit dem Projekt „Livehoods“ versuchen, Stadtteile und ihre zeitlichen Veränderungen genauer zu charakterisieren – mit Hilfe von Millionen Daten aus dem Lokalisierungsdienst Foursquare.

Foursquare ist ein standortbezogenes soziales Netzwerk. Der Internet-Dienstbietet seinen Mitgliedern die Möglichkeit, per Smartphone online"einzuchecken", wenn sie bestimmte Orte wie Geschäfte, Bars oder Restaurants betraten. So konnten sie um virtuelle "Preise" kämpfen, sogenannte Badges, die sie dann beispielsweise zum "Bürgermeister" machten, wenn sie einen Ort nur öfter als andere ihrer Freunde besuchten.

Die Check-ins von Foursquare, die über den Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlicht werden, werden zu Gruppen angeordnet. Die Eincheck-Punkte können eine räumliche Nähe gemeinsam haben, aber auch eine „soziale Nähe“, wenn verschiedene Menschen an sehr ähnlichen Orten einchecken. Die Gebiete, die sich aus dieser Analyse ergeben, bezeichnen die CMU-Forscher als „Livehoods“.

Daten aus sozialen Netzwerken könnten städtische Räume viel feiner auflösen als etwa demographische Daten aus einer Volkszählung, sagt Norman Sadeh, Informatiker an der CMU, der an Livehoods mitarbeitet. Gegenwärtig hat das Livehoods-Projekt Pittsburgh, die San Francisco Bay Area und New York City kartiert. Besucher der Webseite können Vorschläge machen, welche Städte folgen sollen.

Wer die Livehoods-Karte von New York zum ersten Mal betrachtet, dürfte allerdings erst einmal verwirrt sein. Überall prangen bunte Punkte, deren Farben für eine bestimmte Livehood stehen. Klickt man auf einen Punkt, erscheint auf der Karte die Grenze des jeweiligen Datengebiets. Interessant: Livehoods stimmen nicht unbedingt mit den – offiziellen oder gefühlten – Grenzen von Stadtteilen überein. Ich selbst lebe in San Francisco unweit der berühmten Kreuzung Haight Street und Ashbury Street. Die Livehood #44, zu der die Gegend gehört, dehnt sich jedoch deutlich über die allgemein angenommenen Grenzen des Haight-Ashbury-Viertels aus.

Auf der Kartenseite werden dazu in einem Textfeld die fünf beliebtesten Orte der ausgewählten Livehood aufgelistet sowie fünf „unique things to do here“. Dies können auch so alltägliche Dinge sein wie U-Bahn-Fahren oder das Anschauen von Sportsendungen in einer Bar. Zu jedem Punkt wird außerdem die Adresse und das dort befindliche Objekt eingeblendet. Wo und wie häufig Foursquare-Nutzer einchecken, vermerkt die Karte ebenfalls.

Weil die Livehoods nicht den gängigen Quartieren entsprechen, werden sie durchnummeriert. Man wolle irgendwann mittels Crowdsourcing neue Namen für die Gebiete suchen, sagt Jason Hong vom CMU-Team.

Über die auswertenden Algorithmen können die Wissenschaftler nicht nur neue Viertel zutage fördern. Indem Nutzer im Laufe der Zeit an verschiedenen Punkten in der Stadt in Foursquare einchecken, wird auch sichtbar, welche Stadtteile stärker durch die Tätigkeiten einzelner Nutzer miteinander verbunden sind als zuvor gedacht. „Man bekommt eine interessante Momentaufnahme von der Struktur einer Stadt“, sagt Justin Cranshaw von der Livehoods-Gruppe. Räumliche und soziale Nähe müssen nicht unbedingt zusammenfallen.

Was dabei herauskommt, ist nicht nur von akademischem Interesse. Die Bewohner selbst könnten mit dem Livehood-Konzept ihre eigene Stadt besser verstehen lernen, sagt CMU-Forscher Sadeh. Geschäfte könnten herausfinden, wo sich ihre Kunden tatsächlich aufhalten, um an den entsprechenden Orten für sich zu werben.

Stadtplaner wiederum könnten mit Hilfe der Karten bessere Prognosen erarbeiten, wie sich eine Nachbarschaft entwickelt, wenn etwa ein großer Supermarkt eröffnet wird, wo vorher nur Kioske und Kleinstläden die Nahversorgung abdeckten. „Sie sehen bereits eine Menge Anwendungsmöglichkeiten für diese Art der Analyse“, sagt Sadeh. (nbo)