Abzocker und ihre Komplizen

Amazon hat mehr als 300.000 Titel im Angebot, die nur aus kopierten Wikipedia-Artikeln bestehen, aber trotzdem meist über 30 Euro kosten. Handlungsbedarf sieht der Versandhändler nicht.

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Die meisten Open-Source-Projekte wie Linux, Wikipedia und Open Street Map erlauben ausdrücklich auch die kommerzielle Verwendung ihrer Inhalte. Das ist auch gut und richtig so, denn dies ermöglicht Dienstleistern und Start-ups, darauf Geschäftsmodelle aufzubauen, die idealerweise auch zusätzlichen Nutzen für die Kunden bringen. Etwas anders liegt die Sache meiner Ansicht nach bei Verlagen, die für gutes Geld schlecht gedruckte Wikipedia-Artikel verticken. Kürzlich haben wir über Amazon versehentlich für sage und schreibe 46 Euro ein Copy-and-Paste-Buch über Guglielmo Marconi erworben, in die Welt gesetzt von einem Verlag namens „Alphascript Publishing“ mit Sitz auf Mauritius. Um Seiten zu schinden, besaß der Verlag zudem die Frechheit, nur lose mit Marconi zusammenhängende Wikipedia-Artikel wie „Italienischer Faschismus“ oder „Abessinischer Krieg“ dazuzupacken.

Durch die Creative-Commons-Lizenz ist solch eine Verwertung offenbar gedeckt, wie es in der Wikipedia-Diskussionsseite zum Saarbrücker VDM-Verlag, der Muttergesellschaft von Alphascript Publishing, heißt. Aber ich habe meine Zweifel, ob das tatsächlich so ist: Die Lizenz verpflichtet dazu, Wikipedia als Quelle zu nennen. Das ist beim Marconi-Buch zwar durch einen kleinen grünen Punkt mit dem Text „High Quality Content by Wikipedia Articles“ auf dem Cover der Fall, nicht jedoch bei der Amazon-Produktbeschreibung, die jawohl ausschlaggebend für die Kaufentscheidung sein dürfte. Erst, wenn man das Titelbild des Buches anklickt und heranzoomt, kann man den Wikipedia-Hinweis lesen.

Selbst wenn dieser versteckte Hinweis im Sinne der Creative-Commons-Lizenz ausreichen sollte – ich sehe Amazon trotzdem in der Pflicht, solchen Schrott aus dem Programm zu werfen oder wenigstens für eine klare Kennzeichnung zu sorgen. Amazon macht sich sonst zum Komplizen von großangelegtem Kundennepp. Aber der Versandhändler zieht sich auf seine Position als neutraler Vermittler zwischen Verlag und Kunde zurück: „Selbstverständlich hat jeder Verlag die Möglichkeit, sein Werk umfangreich zu präsentieren“, schreibt der Kundensupport und verweist auf die Möglichkeit, das Buch zurückzugeben oder eine kritische Rezension zu verfassen. Bei einem „Werk“ von 81.787 Alphascript-Produkten und 229.355 Produkten des Schwesterverlags Betascript in der Amazon-Datenbank ist das aber illusorisch: Eine Rezension schreibt in der Regel nur, wer zuvor auf den Nepp reingefallen ist, und dann ist es schon zu spät. Wenn Amazon solchen Abzockern weiterhin eine Plattform bietet, gefährdet es seinen Ruf. (wst)