Les Blogs: "Profi-Sex ist auch nicht besser als Amateur-Sex"

In Paris treffen sich am heutigen Montag die Vordenker der Weblog-Welt.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Mario Sixtus

Liberté, Egalité, Fraternité lautet der symbolträchtige Spruch über dem Eingangsportal des Senats in Paris. Und die Freiheit, ungehindert seine Meinung äußern zu können, wird auch hinter dieser Tür heute oft beschworen. In den hohen Hallen der zweiten Kammer des französischen Parlaments treffen sich am heutigen Montag rund 300 Blogger aus 20 Ländern zum Kongress "Les Blogs".

Sind Weblogs in Deutschland nach wie vor ein Randphänomen, hat die Blogwelle in Frankreich bereits enorme Fahrt aufgenommen. "Die Franzosen lieben es, sich laut darzustellen", versucht Loic Le Meur, Europa-Chef des Kongress-Veranstalters Six Apart, diese Dynamik zu erklären. Auf mehrere Millionen wird die Zahl der französischen Online-Journale geschätzt. Frankreich ist nach den USA die Nummer zwei in der Blog-Welt. Kein Wunder also, dass viele renommierte Persönlichkeiten der Blogosphäre ihren Weg nach Paris gefunden haben. Der Beginn verzögerte sich allerdings ein wenig. Die Besucher mussten die Senatsgebäude durch eine Sicherheitsschleuse betreten. Womit die Organisatoren nicht gerechnet hatten: die Gadget-Dichte je Besucher. Nur zäh füllte sich daher der Saal.

Joi Ito, japanischer Venture-Kapitalist und Japan-Chef von Six Apart, führte in die Materie ein: "Blogs sind eine natürliche Weiterentwicklung des Netzes", führte er aus, "TCP/IP verbindet Computer untereinander, HTML verbindet Content miteinander und Blogs verbinden Menschen mit Menschen." Ito wies auf die enormen kulturellen Unterschiede zwischen dem Internet und den traditionellen Medien hin. File- und Idee-Sharing sei ein Teil der Netzkultur, welche die alten Medienhäuser "einfach nicht kapieren" würden. "Altes" Marketing verglich Ito mit "Schreien, und dann Nachsehen, wie die Leute reagieren". Das wäre nicht mehr zeitgemäß, "jeder, der es will, kann heute wissen, was die Menschen denken". Anhand des berühmt gewordenen Falles "Rathergate" (Blogger wiesen dem CBS-Anchorman Dan Rather nach, dass er im TV gefälschte Dokumente präsentiert hatte) zeigte Ito auf, wie Weblogs die Öffentlichkeit verändert haben: "Wenn noch vor wenigen Jahren jemand diese Fälschung entdeckt hätte, hätte er vielleicht mit seinen Freunden in der Kneipe darüber gesprochen, dort wäre die Information dann versandet." Durch die Hyperlinks, die sich flächenbrandartig in der Blogwelt ausbreiten können, gehen solche Informationen nun nicht mehr verloren. Zur manchmal auflodernden Profi-/Amateurdebatte zwischen Journalisten und Bloggern hatte Ito eine klare Stellungnahme parat: "Amateurarbeit muss nicht unbedingt schlechter sein. Professioneller Sex ist auch nicht besser als Amateur-Sex."

Meg Hourihan, Mitbegründerin von Blogger.com, sieht die Zukunft der Blogs multimedial: "Das Wort Blog wird sich weg bewegen von dem, was wir heute darunter verstehen, weg von Seiten mit Text." Sie ist sich sicher: "Das wird die Medienwelt komplett umkrempeln." Charlie Schick von Nokia ging auf den Vorwurf ein, Blogs seien oft nur Teenager-Seiten mit Katzen-Content. "Es geht nicht darum, ob man für zwei Menschen publiziert oder für Millionen." Beides habe die gleiche Berechtigung. Die Grenzen zwischen tauschen, publizieren und kommunizieren würden sich auflösen. Caterina Fake vom Fotodienst Flickr, der kürzlich von Yahoo übernommen wurde, sieht die Tagebuch-Vorurteile gegenüber Blogs langsam schwinden: "Das hört man nur noch selten." Charlie Schick sieht in Blogs obendrein die ideale "non-invasive" Kommunikationsform: "Ob E-Mail, Instant Messaging oder Telefon: Immer nötigt man dem Empfänger eine sofortige Reaktion ab." Beim Bloggen würde man der Welt hingegen eine Nachricht übermitteln und den Lesern überlassen, wann oder ob sie überhaupt reagieren. (Mario Sixtus) / (jk)