Vom Versandhaus ins Internet: Das Sterben der dicken Kataloge

Ein zweiter Fall Quelle ist Neckermann nicht. Doch der Versandhändler ist unter Druck und will nun voll auf das Internet setzen. Die Folge ist ein drastischer Stellenabbau.

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Von
  • Andreas Hoenig
  • Volker Danisch
  • dpa

Neckermann.de will noch rechtzeitig die Kurve bekommen. Das Schicksal von Quelle vor Augen, vollzieht der kriselnde Versandhändler einen radikalen Kurswechsel. Das Motto: Die Kataloge einstampfen, alles aufs Internet. Das Print-Geschäft sowie die Eigentextil-Sparte werden eingestellt, von 2500 Jobs sollen knapp 1400 wegfallen. Neckermann.de will ein reiner Online-Händler werden.

Zwar gehört das Unternehmen zu den drei größten Online-Versendern in Deutschland und macht 80 Prozent seines Umsatzes im Internet – schleppt aber derzeit noch als Bremsklotz das schwächelnde Kataloggeschäft mit sich. Während der profitable E-Commerce zweistellig zulegt, ist das Katalog-Geschäft im Sinkflug. Im ersten Quartal 2012 lag der Umsatzrückgang bei 50 Prozent.

"Nicht wettbewerbsfähig", lautete das Urteil von Neckermann.de am Freitag. Die Mengen im Katalog-Geschäft nehmen ab, die Kosten sind hoch. Seinen dicken Hauptkatalog hat Neckermann.de bereits eingestellt, nun folgen auch alle Sortiments-Kataloge. Dies soll Spielraum schaffen für Millionen-Investitionen ins Internet.

Aus Sicht von Branchenexperten vollzieht Neckermann damit einen überfälligen Kurswechsel. Das Unternehmen habe bislang seinen Schwerpunkt "nicht klar genug" auf den E-Commerce gesetzt, sagt Christin Schmidt, Sprecherin des Bundesverband des Deutschen Versandhandels. Denn die Ära der rund 1000 Seiten starken und kiloschweren Versandhaus-Kataloge, wie sie zur Wirtschaftswunder-Zeit populär wurden, sind vorbei. Die Druckkosten für Universalkataloge, die zweimal im Jahr tausende Waren anboten, gingen in die Millionen.

"Die dicken Kataloge haben eine ganze Menge Nachteile", meint auch Trendforscher Marco Atzberger vom Handelsinstitut EHI. In den sehr umfangreichen Hauptkatalogen müssten sich die Versandhändler für ein halbes Jahr auf ihr Sortiment und ihre Preise festlegen. Das sei ein klarer Nachteil gegenüber den reinen Online-Portalen, die jederzeit auf das Wetter und die Nachfrage bei Produkten reagieren könnten.

Nach Einschätzung des EHI-Experten findet eine Kannibalisierung innerhalb des Versandhandels statt, ein Wechsel von den traditionellen Katalogen mit einer Bestellkarte und dem Anruf bei einer Hotline hin zum Einkaufen per Mausklick bei den Onlineportalen. Die Verbraucher werden nach Meinung der Branchenbeobachter auch in Zukunft Katalog erhalten, aber schmalere und mit anderen Funktionen. Laut Atzberger könnte es in Richtung Kundenmagazin oder Imagewerbung gehen. Kleinere Kataloge kommen häufiger ins Haus, dazu gewinnen neue Formate wie Kataloge für iPads an Bedeutung, meint Schmidt.

Im Katalog wird also noch gestöbert – bestellt wird dann aber zum größten Teil im Internet. Der Trend zu Online-Bestellungen ist ungebrochen, 2011 lag der Anteil am Gesamtumsatz bereits bei 64 Prozent. Insgesamt boomt der Versandhandel seit Jahren. 2011 erzielte die Branche einen Rekordumsatz von 34 Milliarden Euro, das war ein Plus von mehr als 12 Prozent – Tendenz steigend.

Wer aber den Einkaufsboom per Internet verpasst, dem droht das Aus – wie dem legendären Versandhändler Quelle. 2009 ging das einstige Vorzeige-Unternehmen in die Insolvenz. Zu spät war Quelle ins Internet-Geschäft eingestiegen, erste Erfolge beim radikalen Umbau wurden von der Insolvenz des Mutterkonzerns Arcandor zunichtegemacht.

Aus dem Konkurrenzkampf der großen, von ihren Gründern und Besitzern geprägten Versandhäuser wie Quelle, Neckermann und Otto waren die Hamburger als Gewinner hervorgegangen, auch dank ihres frühzeitig angeschobenen Online-Geschäftes. Aber auch bei der Otto Group in Hamburg, dem weltweit größten Versandhandelsunternehmen, herrscht Unruhe. Das Management will die drei deutschen Versandhändler Otto in Hamburg, Baur in Burgkunstadt und Schwab in Hanau stärker miteinander verzahnen und unter eine gemeinsame Leitung stellen. Die Details sind noch unklar. Die Otto-Führung musste sich deshalb vor wenigen Tagen auf einer Betriebsversammlung deutliche Worte vom Betriebsrat anhören, der eine klare Strategie für die Positionierung der Unternehmen vermisst.

Otto weist das zurück. "Wir handeln als größter Mode- und Lifestyle-Onlinehändler aus einer Position der Stärke und sind in einer völlig anderen Situation als Neckermann", sagte ein Sprecher. Die Unternehmen erwirtschaften Gewinn, müssten aber wettbewerbsfähig gehalten werden. Bis zum Herbst wird sich herausstellen, ob es bei Otto zu betriebsbedingten Kündigungen kommt; dann soll mit der Umsetzung begonnen werden. (jk)