Mit virtueller Realität gegen Flugangst

Wissenschaftler am Institut für klinische Psychologie der Universität Amsterdam kombinieren Datenbrille und Medikamente, um Angststörungen zu bekämpfen.

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Wissenschaftler am Institut für klinische Psychologie der Universität Amsterdam kombinieren Datenbrille und Medikamente, um Angststörungen zu bekämpfen.

Angst erfüllt im Leben des Menschen normalerweise eine hilfreiche Funktion: Wären wir ständig furchtlos, würden wir unnötige Risiken eingehen – und dies vermutlich schneller mit Verletzungen oder gar dem Tod bezahlen, als es uns lieb ist. Doch es gibt auch Bereiche, in denen Ängste nicht mehr hilfreich sind. Dann wirken sie für Außenstehende irrational, weil sie sich logisch nicht mehr erklären lassen. Dazu gehören schwere Fälle von Höhen- und Flugangst ebenso wie soziale Phobien unterschiedlicher Ausprägung.

Wer von solchen Phobien oder Angststörungen betroffen ist, hat oft kein einfaches Leben: Panikattacken können Menschen den Alltag je nach ihrer Stärke tatsächlich zur Hölle machen. Und die Zahl der Betroffenen wächst. So gibt es Schätzungen, nach denen in der Bevölkerung eines westeuropäischen Landes wie den Niederlanden bis zu 20 Prozent der Menschen mindestens einmal in ihrem Leben von einer Angststörung heimgesucht werden.

Der Therapieraum ist einer Flugzeugkabine nachempfunden.

(Bild: UVA)

Therapiemöglichkeiten gibt es einige: Von der klassischen Gesprächstherapie über die Verhaltens- und Konfrontationstherapie bis hin zur kognitiven Therapie, bei der versucht wird, Betroffene negative Gedanken erkennen und ausblenden zu lassen. Parallel kann auch über eine medikamentöse Behandlung nachgedacht werden.

Wissenschaftler am Institut für klinische Psychologie der Universität Amsterdam in den Niederlanden versuchen nun, reguläre verhaltenstherapeutische und pharmakologische Ansätze mit moderner Computertechnik zu ergänzen. Ihr Verfahren nennt sich "Virtual Reality Exposure Therapy", kurz VRET – "Exposure" deshalb, weil Menschen dabei mit ihren Ängsten direkt konfrontiert werden, ohne dass sie einen geschützten Raum verlassen müssten.

Virtueller Blick aus dem Kabinenfenster.

(Bild: UVA)

In einer Studie wurden dabei 67 Personen mit Flugangst an insgesamt vier wöchentlichen Terminen jeweils zweimal 25 Minuten mit VRET behandelt. Dabei werden die Versuchspersonen einem realitätsnahen Fluggeschehen aus dem Rechner ausgesetzt, das es ihnen erlauben soll, sich langsam an die panikauslösende Situation zu gewöhnen. Mit einer Videobrille ausgerüstet, können sie dabei beispielsweise aus einem virtuellen Flugzeugfenster schauen, während die Maschine startet. Selbst Flughafen und Gate lassen sich simulieren, um Patienten schrittweise an ihre Problemlage heranzuführen. Um das Verfahren noch realistischer zu gestalten, kann auch das sogenannte Headtracking zum Einsatz kommen – dabei steuern Kopfbewegungen das angezeigte 3D-Bild.

Der eine Teil der Gruppe erhielt eine Stunde vor der VRET-Nutzung ein Placebo, der andere Teil 10 mg des Wirkstoffes Yohimbin, der als Angsthemmer bekannt ist. Das Ergebnis: Yohimbin manipulierte zwar erfolgreich den Noradrenalin-Spiegel bei den Versuchspersonen, wie sich über Proben der Speichel-Amylase nachweisen ließ – das Panikgefühl ließ nach. Allerdings ergab sich auch, dass die 48 Personen, die nur die VRET-Behandlung erfolgreich absolvierten, aber kein Yohimbin erhielten, jeweils durchschnittlich gleich gute Ergebnisse zeigten: Nach den vier Sitzungen hatte sich das Angstniveau ebenso messbar reduziert, wie die Programmgruppenleiterin Katharina Meyerbröker berichtet.

Das System kann auch Flughäfen simulieren, um Patienten langsam an angstauslösende Situationen heranzuführen.

(Bild: UVA)

Die Forscher könnten nun die Dosis von Yohimbin weiter erhöhen, wollen ihr Verfahren aber zunächst in einer klinischen Studie untersuchen. Eine VRET-Therapie kann bestenfalls mehrere Jahre anhalten oder die Angststörung sogar kurieren, sagt Meyerbröker. Eine kommerzielle Version des Verfahrens, die auch zuhause angewendet werden könnte, ist derzeit noch nicht vorgesehen. "Dazu ist die eingesetzte Technik noch zu teuer." Sie müsse außerdem extern von Fachleuchten gesteuert werden.

Das VRET-Verfahren soll auf längere Sicht nicht nur bei Angststörungen eingesetzt werden, sondern könnte auch in Fällen posttraumatischen Stresses Verwendung finden, wie er nach Unfällen oder bei Soldaten im Einsatz auftritt. Patienten würden an den Auslöser ihrer posttraumatischen Belastungsstörung dann virtuell herangeführt. (bsc)