Das Untun

Anmerkungen zu digitalem Snobismus, Verzicht und der Lehre der Katzen.

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Von
  • Peter Glaser

Anmerkungen zu digitalem Snobismus, Verzicht und der Lehre der Katzen.

Unsere Wertvorstellungen verlaufen zunehmend ins Scheinbare und Stofflose. Das eigentliche Erzeugnis der Hochtechnologie ist so etwas wie praktische Philosophie. Da Computer eher mit einer Werkstatt als mit einem Auto vergleichbar sind, taugen sie nicht richtig zum Protzen. Menschen, die sich bevorzugt über Statusobjekte definieren, geraten langsam in Bedrängnis.

Der Computer schluckt Ding für Ding – Schreibmaschine, Staffelei, Musikinstrumente, Spiele, Werkbänke, fast alles. Wir geben uns mit ihrem Anschein zufrieden, mit der Simulation. In ihren Flüchtigkeiten übertrifft sie die guten, alten echten Dinge. Dem computergestützten Schwund als Passivum steht eine moderne Form von Verzicht als aktive Lebenshaltung entgegen. Der Ausdruck unserer Zeit ist das Immaterielle. Conspicuous Minimalism heißt die Lebensart, bei der das Nichtbesitzen als Zeichen moralischer und geistiger Überlegenheit vorgezeigt wird. Digitaler Snobismus?

Moderner Snobismus heißt längst nicht mehr, die Fenster putzen zu lassen, weil ein Kommunist durchgeguckt hat. Snobismus in den 90er Jahren war: Schweigen am Telefon, am liebsten bei Transkontinentalgesprächen, als sie noch sehr teuer waren. Und heute? Urlaub am Mittwoch, um sich dafür am Wochenende daheim die Staumeldungen anzuhören? Einen Musiktrack aus der Netzunendlichkeit der Weltklangmasse immer nur ein einziges Mal anzuhören? Eine moderne Jeunesse dorée scheint im Anwachsen begriffen, zu deren Bestrebungen es gehört, die richtigen Dinge ausfindig zu machen, die man bleiben lassen kann. In den westlichen Industrienationen entsteht eine neue Bedeutung von Nichts, die nicht Mangel meint, sondern Lebensqualität. Ein nahrhafter Nihilismus.

Man muss kein Mahatma Ghandi sein, um sich in einer Überflussgesellschaft im Verzicht zu üben. Jeder, der beispielsweise schon mal versucht hat, sich das Rauchen abzugewöhnen, weiß aber, wie unromantisch und schwierig das sein kann. Verzicht übt den Sinn für natürliche Grenzen, stärkt das Selbstbewusstsein und erzeugt ein aktives Verständnis für Menschen, die nicht verzichten können sondern müssen. Es handelt sich also um eine soziale Form von Nichtstun. Politik für Faule.

Ich wohne zusammen mit Katzen. Die Katzen lieben Kartons. Sie sitzen gern in ihnen. Es ist ihr einziger Tribut an die Welt der Dinge. Die Tiere sind das pure Leben. Aus klaren Augen schauen sie wach und mit Gleichmut hinaus ins Vergängliche. Jede hat einen Platz, auf dem sie gern liegt, am liebsten auf frischer Pappe. Das ist alles. Da sie mich bereits viel Gutes gelehrt haben, etwa dass ausgeschlafene Lebewesen Frieden in die Welt tragen, würde ich mich ihnen gegenüber gern erkenntlich zeigen, aber so denken Menschen.

Nur Zeit und Zuwendung sind wahr, sagen die Katzen. Jedes Mal, wenn ich wieder einmal Bücher online bestellt habe und merke, dass ich ein oder zwei davon schon zum zweiten Mal bestellt habe, wird mir klar, dass der Grund für die Bestellung nicht die Bücher sind, sondern die Kartons. Sie sind das für die Katzen, was das Fernsehen und das Netz für uns Menschen sind, und sie sind mehr. Sie bringen die Ferne heran, und sie riechen nach etwas, das von weit draußen kommt, und man kann sich auf die Pappe legen und auf ihr schlafen.

All die feinen Dinge um mich herum stimmen mich melancholisch, die silberschimmernden Macs, der kleine Tisch und der Holzstuhl neben dem Weinstock draußen auf der Terasse, die bezahlte Telefonrechung im Abendlicht, wenn ich die zärtliche Gleichgültigkeit der Katzen wahrnehme. Da sitzen sie und leben, keiner kann mehr. Einzig der Gedanke, fortan Whiskas essen zu müssen, hält mich davon ab, in einem artenüberschreitenden, transgenderesken Akt mein Leben in das Leben einer Katze zu verwandeln. So bleiben wir Menschen also vorerst zurück im Durcheinander der Dinge, im Schwirren der Verhältnisse, und versuchen, uns ein Stück näher an die Weisheit heranzuverzichten. (bsc)