re:publica: "Wir brauchen freie Medien"

Eben Moglen, Gründer des Software Freedom Law Center, hat zum Auftakt der Netzkonferenz in einer Kampfansage an Amazon, Apple, Google und Facebook auf die Notwendigkeit der freien, unüberwachten Mediennutzung zum Erhalt der Gedankenfreiheit verwiesen.

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Eben Moglen, Gründer des Software Freedom Law Center, hat zum Auftakt der re:publica in einer Kampfansage an Amazon, Apple, Google und Facebook auf die Notwendigkeit der freien, unüberwachten Mediennutzung zum Erhalt der Gedankenfreiheit und anderer Grundrechte verwiesen. "Wir brauchen freie Medien", erklärte der US-Rechtsprofessor am Mittwoch in Berlin. Die heutige Generation sei als Medienkonsumenten aufgewachsen. Wenn die Hebel in der Technikentwicklung aber nicht umgestellt würden, "konsumieren uns die Medien", warnte Moglen. Internet-, Telekommunikations- und IT-Konzerne seien gemeinsam mit Regierungen dabei, jeden Klick der Nutzer zu überwachen und ihre Träume und Wünsche in Erfahrung zu bringen.

Eben Moglen während seines Eröffnungsvortrags.

(Bild: Stefan Krempl)

Unzählige Menschen hätten im 17. und 18. Jahrhundert für die Bürgerrechte und Grundfreiheiten gestritten, holte der Freie-Software-Aktivist aus. Sie hätten sich etwa gegen die Zensur der katholischen Kirche gestellt und dafür gekämpft, Bücher verfassen und unkontrolliert lesen zu dürfen. Die Französische Revolution habe sich letztlich für die Freiheit eingesetzt, "anders zu denken". Jetzt baue die Menschheit mit dem Internet ein umfassendes Netzwerk auf, das sich in ihr externes Nervensystem verwandle. Leider hätten die Väter des Netzes aber die Anonymität nicht direkt mit eingebaut, sodass die Nutzer gegen Überwachung nicht geschützt seien.

Derzeit laufen das Design der Technik und das Verhalten vieler User in die falsche Richtung, meint Moglen. Bei Facebook teilten Menschen ihre Interessen und ihre Freunde mit einem zentralen Knotenpunkt, der darüber an Dritte wiederum Auskunft geben und Zugangspunkte für Analysesoftware verkaufen könne. Mark Zuckerberg, der Chef des sozialen Netzwerks, wolle das Web in Besitz nehmen, erläuterte der Jurist. Jeder "Like Button" auf einer Homepage helfe ihm dabei. Die Stasi würde Facebook bejubeln, da Zuckerberg ihre Kernaufgabe verrichte. Geheimpolizeien gehe es darum, Leute und ihre Verbindungen auszuforschen. Genau dies erledigten die Kalifornier. Mit dem Einbau von Data-Mining-Software in den Code des Netzwerks, was anhand der Facebook-Geschäftsbedingungen kein Problem sei, sei das ideale Spionagewerkzeug geboren.

v.l.n.r.: Andreas Gebhard, Markus Beckedahl, Johnny und Tanja Haeusler

(Bild: Stefan Krempl)

Alle Fragen, Wünsche und Träume, die Nutzer in die Google-Suchbox eingeben, würden von dem Suchmaschinenkonzern aufgezeichnet und ausgewertet, sagte Moglen weiter. Smartphones merkten sich rund um die Uhr die "Geständnisse" der Anwender und hätten sich in "mobile Roboter" verwandelt. Eine Android-App fühle den Herzschlag des Handy-Inhabers, künftig könne man sicher auch den Blutdruck von Gesprächspartnern rasch messen und seine Schlüsse daraus ziehen. Steve Jobs wiederum sei das Teilen von Medieninhalten verhasst gewesen, sodass auch Apple-Produkte "uns der Gefangenschaft näher gebracht haben". Amazon schließlich habe das Buch mit dem E-Reader und damit einer "Überwachungsbox" ersetzt. Das Löschen just von Büchern George Orwells auf Lesegeräten des Online-Großhändlers – wie 2009 geschehen bezeichnete Moglen als moderne Form der Bücherverbrennung. Letztlich arbeite jeder von Menschen gesetzte Link "der Maschine" zu und erhöhe ihr Wissen.

Wissbegierige Regierungen machen sich diese Trends zunutze und erweitern unter Aufhängern wie der Terrorismusbekämpfung das Ausspionieren der eigenen Bürger, malte Moglen sein Szenario weiter aus. Washington etwa habe jüngst die Frist, in denen Daten über unverdächtige US-Bürger aufbewahrt werden dürften, von 180 Tagen auf fünf Jahre und so "unendlich" ausgeweitet. Provider genössen Immunität, wenn sie ihre Kunden "in gutem Glauben" ausforschten. Autoritäre Regimes setzten offen Techniken zur umfassenden Netzüberwachung und Zensur ein.

"Wir sind dabei, die Gedankenfreiheit möglicherweise für immer zu verlieren", lautet Moglens Resümee. Sein Rezept dagegen besteht aus freier Soft- und Hardware, freier Bandbreite auch für Funknetze und einer neuen Medienethik. "Wenn wir die Grundlagen des Netzwerks nicht kontrollieren, kontrolliert uns das Netzwerk", machte der Vordenker klar. Nötig sei eine Infrastruktur, die nicht aus "Herren und Sklaven oder Server und Clients" besteht, sondern aus gleichberechtigten Netzpunkten. Erstes Gesetz der Robotik müsse es sein, dass die Maschinen die Nutzer nicht ausspähten und unwissend Daten über sie erhöben. Die Nutzer selbst dürften nicht länger Software, Filme, Musik oder Texte erwerben, die sie überwachten.

Die Umstellungen "werden uns ein wenig kosten, wir müssen dafür ein paar Opfer bringen", gab Moglen den Zuhörern mit auf den Weg. Facebook sei aber letztlich nur eine kommerzielle Variante eines Dienstes, der durch ein neutrales, verschiedene Angebote zusammenführendes Meta-Netzwerk abgelöst werde. Auch das iPhone werde sich nicht ewig halten. Mit der "Freiheitsbox" hätten Aktivisten bereits Webserver zur Verfügung gestellt, die der neuen Netzethik entsprächen. Bürgerrechtsvereinigungen weltweit klagten zudem verstärkt vor Gericht gegen überwachungshungrige staatliche Behörden und Firmen, die Nutzer die Proteste auf die Straße tragen. Gerade die gegenwärtige Generation habe hier eine große Verantwortung, da sie die letzte sei mit Wurzeln in der analogen Welt und die traditionellen Grundrechte noch direkt wahrgenommen habe.

Vor dem Eröffnungsvortrag hatte Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl auf die anstehenden "200 Stunden Programm" auf acht Bühnen verwiesen, zu denen nach Bedarf noch "Open Spaces" kommen könnten. Sein Partner von der Agentur newthinking, Andreas Gebhard, gab angesichts des Umzugs auf das frühere Bahnhofsgelände Station-Berlin zu bedenken: "Alles, was wir hier machen, ist ein bisschen beta." Mitorganisator Johnny Häusler von Spreeblick verwies darauf, dass es sich um die "barrierefreiste re:publica" handle. So gebe es Gebärdendolmetscher, statt einer Twitterwand liefen die gesprochenen Worte für Hörgeschädigte mit und insgesamt seien die Räume sehr zugänglich. Die Veranstalter erwarten rund 5000 Teilnehmer. Am ersten Mittag ging es auch in der deutlich vergrößerten Location im Kampf um die Stillen Örtlichkeiten bereits recht beengt zu. (anw)