Das Update bleibt aus

Drei Tage lang traf sich die digitale Bohème zu ihrem jährlichen Ball in Berlin, der Konferenz re:publica. Am gestrigen Freitag nun ist er zu Ende gegangen. Was bleibt, ist erstaunliche Ernüchterung: Die Euphorie ist weg. Die digitale Bohème, sie fühlt sich im Stich gelassen.

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Von
  • Robert Thielicke

Drei Tage lang traf sich die digitale Bohème zu ihrem jährlichen Ball in Berlin, der Konferenz re:publica. Am gestrigen Freitag nun ist er zu Ende gegangen. Was bleibt, ist erstaunliche Ernüchterung: Die Euphorie ist weg. Die digitale Bohème, sie fühlt sich im Stich gelassen.

Schon wähnten sie sich auf dem Pfad der Revolution, an der Spitze einer großen Bewegung. Da blickten sie sich um, und stellten fest: Kaum einer folgt. Ein bisschen ACTA-Demos hier, etwas Vorratsdatenspeicherungs-Protest dort, hin und wieder netter Anonymous-Grusel. Aber im Großen und Ganzen dämmert den Protagonisten langsam: Eine Gesellschaft ist schwerer zu programmieren als ein Internet-Protokoll.

Irgendwie hatten sie ja die wunderbar sympathische Hoffnung, dass mit einer neuen Technologie auch eine neue Zivilisation anbricht. Nun aber stellen sie fest: „Das Problem ist nicht die Technik, sondern der Mensch davor“, wie es ein Podiumsdiskutant ausdrückt. Wenn ein Teilnehmer die Hoffnung äußert, Portale zur Bewertung von Glaubwürdigkeit im Internet mögen doch bitte ohne Diskriminierung und Böswilligkeit ablaufen, kann man getrost versichern: Die Hoffnung ist vergebens. Shitstorms lassen grüßen. Während die Bohème noch überlegt, ob das Internet die Menschen zu besseren Wesen macht, sei hier die Antwort verraten. Sie lautet: Nein. Menschen ticken so, wie sie immer getickt haben. Das ist Psychologie, nicht IT.

Einen wunderbaren Beweis liefert ausgerechnet die re:publica. Gut besucht war die Veranstaltung zweifellos, und wer hätte noch vor zwei Jahren gedacht, dass Netzkultur diese bemerkenswerten Massen anzieht. Was die Teilnehmer aber vor allem anzog, war nicht etwa Occupy und die arabische Revolution. Für diese Themen hatten die Veranstalter zwar optimistisch große Säle reserviert, aber sie blieben ziemlich leer. Stattdessen drängten die Bohèmiens in eine Diskussion mit Sascha Lobo, dem wohl bekanntesten Internet-Erklärer dieser Tage. Promi-Bonus schlägt Gesellschaftsdiskurs. Sie strömten in die Vorträge von ARD und ZDF. Die Großen schlagen die Kleinen. Sie hören in Massen zu, wie die Krimireihe „Tatort“ sich künftig im Internet präsentieren wird – nämlich mit einem Ermittlungsspiel. Unterhaltung schlägt Engagement. Menschen wollen zwar ausdauernd plaudern und schäkern, aber nur selten mitbestimmen und entscheiden.

Sie interessiert im Netz-Zeitalter genau das, was sie auch vor dem Netz-Zeitalter interessiert hat: der Klatsch, die Berühmtheiten, alles, was sie persönlich betrifft und alles, was es umsonst gibt. Das Betriebsprogramm der Menschen hat sich seit mindestens tausend Jahren nicht geändert, und wird das auch die nächsten tausend Jahr nicht tun. Das Upgrade bleibt aus. (rot)