re:publica: Revolutionen in der Warteschleife

Der arabische Frühling machte Hoffnung auf weitere demokratische Reformen in autoritären Regimen. Doch haben sich die verbliebene Regime auf die Herausforderungen der vielfältigeren Kommunikationsformen eingestellt.

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Von
  • Torsten Kleinz

Der arabische Frühling machte Hoffnung auf weitere demokratische Reformen in autoritären Regimen. Doch wie Aktivisten auf der Berliner Konferenz re:publica berichteten, haben sich die verbliebene Regime auf die Herausforderungen der vielfältigeren Kommunikationsformen eingestellt – der Wandel kommt allenfalls langsam.

"Das Zensursystem in China wurde in den letzten Jahren weiterentwickelt", berichtete der Blogger  Isaac Mao. So seien nicht nur die technischen Möglichkeiten zur Filterung der Informationsströme erweitert worden. Die Mitglieder der so genannten "50 Cents-Armee", die gegen Bezahlung verdächtige oder staatsfeindliche Aktivitäten im Internet melden sollen, haben sich inzwischen auch darauf verlegt, gezielt Botschaften zu verbreiten, die die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von Missständen ablenken sollen. "Die Geschwindigkeit des Netzes ist in Ordnung, aber viele Seiten bleiben leer", schildert Mao die Situation in der Volksrepublik. "Die IP-Adresse der Nutzer wird überall aufgezeichnet."

Doch selbst das ausgefeilteste Zensursystem sei der stark gewachsenen Internetkompetenz der Chinesen nicht gewachsen. "Früher waren nur wenige Nutzer sehr internetversiert, heute gehören schätzungsweise 10 Prozent der Nutzer zu dieser Gruppe", erklärte Mao. Diese Gruppe gebe ihre Informationen auf den offiziell zugelassenen sozialen Netzwerken weiter. Hier stoße die Zensur an die Grenzen: "140 Zeichen sind sehr wenig, um darauf eine Zensurentscheidung zu stützen", sagt Mao. Durch die Vielzahl der Informationskanäle würden Informationen, die zum Beispiel die Lebensmittelsicherheit betreffen, auch an die breite Masse der Bevölkerung gelangen, wenn das staatlich kontrollierten Massenmedien nicht darüber berichten.

Auch das iranische Regime ist trotz der immer wieder aufflammenden Protestbewegungen noch fest im Sattel. Der Exil-Iraner Arash Abadpour, der derzeit in Kanada lebt, sprach in Berlin von vielen Verhaftungen und der Folterung von Regimegegnern. "Die Lage ist sehr düster", sagte Abadpour. Eine Strategie des Regimes sei es, die Menschen zu isolieren, die abweichende Meinungen äußern. So sollen sie den Eindruck bekommen, dass sie alleine stehen. Doch über viele Kanäle würden sich die Menschen in ihren persönlichen Überzeugungen bestätigen. "Das Volk findet sein Medium", ist sich der Blogger sicher. So gebe es im Iran eine starke Rap-Szene im Untergrund, mit der sich viele Bürger identifizierten. Die Netzwerke, die das Regime verhindern wollten, wüchsen unaufhörlich – doch sehr langsam.

Pläne des iranischen Regimes, den Internetverkehr des Landes weitgehend vom Ausland zu entkoppeln, hält Abadpour für technisch möglich – Iran werde dafür aber einen hohen Preis bezahlen müssen. Doch nicht nur die Netzkanäle seien für die Information der Bevölkerung wichtig, auch Sender wie Al Jazeera, BBC und Deutsche Welle würden gute Arbeit leisten, regimeunabhängige Informationen zu verbreiten. Diese seien auch gut mit der Bloggerszene des Landes vernetzt.

In Russland widerum stellt sich die Situation ganz anders dar, wie Mathis Winkler von der Deutschen Welle schilderte. "Putin hat sich nie besonders für das Internet interessiert, sondern auf die Kontrolle der Massenmedien konzentriert." Obwohl keine Internetzensur existiert, berichtete Winkler von Angriffen auf Oppositionelle und die gezielte Verbreitung von Falschinformationen. Eine Umsturzbewegung sei vorerst in Russland nicht zu erwarten, da ein Großteil der Bevölkerung mit den Regierenden zufrieden sei. Nur ein rapider wirtschaftlicher Abstieg könne das ändern. Junge Menschen würden eher auswandern als das System zu verändern. "Es gibt sehr wenig Raum für die Öffentlichkeit, um eigenständig Meinungen zu bilden", fasste Winkler zusammen.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Markus Löning betonte die Notwendigkeit des ständigen Dialogs mit Regierung und mit Oppositionellen. "Die Politik des Westens erscheint manchmal albern, aber es ist tatsächlich wichtig, dass diese Missstände immer wieder thematisiert werden." Er selbst bemühe sich darum, Inhaftierte oder chinesische Oppositionelle zu treffen, werde aber zuweilen von der Geheimdiensten daran gehindert.

Löning plädierte in Berlin auch dafür, Überwachungstechnologien als so genannte "Dual-Use-Güter" einzustufen, die sowohl für zivile Zwecke, als auch zur Unterdrückung eingesetzt werden könnten. Dies könnte Exportbeschränkungen zur Folge haben. Doch nicht nur die westlichen Regierungen seien gefragt, auch die Hersteller solcher Anlagen: "Große Firmen wie Siemens und Nokia sind Stakeholder ihrer Gesellschaften und haben daher eine Verantwortung für ihre Produkte. Sie leben nicht auf dem Mond." (jk)