Wikipedia-Fake war ein Witz

Die Qualitätsdebatte um die freie Online-Enzyklopädie geht weiter; neue Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung werden diskutiert.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Die Qualitätsdebatte um die Wikipedia geht weiter. Nun wurde der anonyme Autor des Artikels ausfindig gemacht, der das freie Enzyklopädieprojekt in der vergangenen Woche in Misskredit gebracht hatte. Unterdessen werden neue Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung diskutiert.

Das freie Enzyklopädieprojekt wurde kritisiert, weil über Monate falsche Anschuldigungen in einem Artikel über den 78-jährigen John Seigenthaler standen. Dem ehemaligen Assistenten von Robert Kennedy wurde eine Verwicklung in den Mord an US-Präsident John F. Kennedy unterstellt. Der Artikel war von einem anonymen Nutzer erstellt worden, von dem nur die IP-Nummer bekannt war. Ausgerechnet der Wikipedia-Kritiker Daniel Brandt hatte den Artikel erfolgreich bis zu einer Lieferfirma in Nashville zurückverfolgt. Brandt betreibt die Webseite Wikipedia-Watch, in der er gegen einen aus seiner Sicht unzutreffenden Wikipedia-Eintrag über sich selbst protestiert.

Nach Medienanfragen outete sich ein 38-jähriger Angestellter der Lieferfirma als Urheber der Anschuldigungen gegen Seigenthaler. Brian Chase gab an, er habe einen Mitarbeiter beeindrucken wollen, indem er die falschen Angaben in der freien Enzyklopädie deponiert habe. Dies sei ihm geglückt, die Wikipedia habe er als "Gag-Webseite" empfunden. Welche Auswirkungen dieser Scherz jedoch für Seigenthaler hatte, sei ihm erst bewusst geworden, als der Fall in die Medien kam. Um Schaden von dem Unternehmen abzuwenden, hat er seine Arbeitsstelle gekündigt und sich persönlich bei Seigenthaler entschuldigt. Seigenthaler, der mit der Frage der Verantwortung für die Verleumdungen an die Öffentlichkeit getreten war, zeigte sich versöhnlich und trat dafür ein, dass Chase seine Arbeitsstelle zurückerhalte.

Für die Wikipedia hingegen hat sich die Debatte noch nicht erledigt. Zwar wurden in einer ersten Sofortmaßnahme nicht-angemeldete Nutzer von dem Anlegen neuer Artikel ausgesperrt, ob diese Maßnahme die Qualität nachhaltig steigert, bleibt jedoch abzuwarten. Inzwischen werden andere Vorschläge zur Qualitätssicherung wieder aus der Schublade geholt. So soll eine Bewertungsfunktion gute oder schlechte Artikel besser erkennbar machen. Daneben wird auch das Anlegen "stabiler" Artikelversionen diskutiert, die nicht von dem täglichen Hin und Her in der Wikipedia betroffen sein sollen.

Wie schnell vermeintlich witzige Artikel in die Wikipedia gelangen, bewies der populäre Web-Cartoonist J. D. Frazer, als er in seiner Comic-Serie in mehreren Folgen den Konflikt um die Wikipedia aufgriff. Der im Comic beschriebene Artikel unter dem Titel "Hairy Dork" wurde flugs in der Wikipedia angelegt und erst nach 5 Stunden wieder komplett gelöscht.

Andere finden die Wikipedia nicht ganz so witzig: In einer Mail ruft ein Redakteur der New York Times seine Kollegen dazu auf, die Wikipedia nicht mehr als Informationsquelle für Artikel zu verwenden. Ein vollkommener Verzicht scheint jedoch unklug: Gerade bei Ereignissen wie der Tsunami-Katastrophe vom Dezember 2004 oder der jüngsten Unruhen in Frankreich hatte sich die Wikipedia einen Ruf als schnelle und unmittelbare Informationsquelle gemacht.

Inzwischen beweist die Wikipedia , wie sehr sie zur Krisenberichterstattung auch in eigener Sache taugt: Der Konflikt wurde in einem eigenen Wikipedia-Artikel aufbereitet. (Torsten Kleinz) / (jk)