Müssen Hersteller und Distis ihre Händler zum Jagen tragen?

Fast täglich locken Distributoren ihre Handelspartner mit der Aussicht auf Reisen oder andere Vergnügungen, sich für die Produkte eines bestimmten Herstellers besonders ins Zeug zu legen. Für heise-resale-Kolumnisten Damian Sicking handelt es sich dabei um eine Infantilisierung des IT-Handels.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

Lieber Stephan Heinrich, Vertriebstrainer mit Distributionshistorie,

Vertriebstrainer Stephan Heinrich

(Bild: HMC)

in der vergangenen Woche informierte ein bekannter Distributor aus dem Münchener Osten die "lieben Pressevertreter" über die aktuellen "Incentives für die Reseller". Das Highlight war wie folgt überschrieben: "Ingram Micro und Samsung schicken Händler auf die Kapverden.“ Es stellen sich spontan zwei Fragen. Erstens: Finden Händler es grundsätzlich gut, wenn sie von einem Distributor irgendwo hin geschickt werden (am Ende noch in die Wüste)? Und zweitens: Wo um alles in der Welt sind die Kapverden?

Da macht es Also Actebis den Händlern leichter. Mallorca kennt schließlich jeder, und die meisten waren sogar schon mal da (wenn sich auch so mancher nicht mehr daran erinnern kann). Die TK-Abteilung von Also Actebis, NT plus, lockt die Händler mit der Aussicht auf einen viertägigen Aufenthalt in einem 4-Sterne-Hotel auf der spanischen Insel. Einzige Voraussetzung: Die Händler müssen fleißig Aastra-Produkte einkaufen.

Da will der dritte große Broadline-Distributor natürlich nicht abseits stehen. Unter dem stillschweigenden Motto "Lassen Sie uns die PS auf die Straße bringen" verspricht Tech Data – Intel, Microsoft und Western Digital machen´s möglich – ein aufregendes Rennwochenende am Sachsenring. Klitzekleine Vorbedingung: Die Händler müssen ordentlich viele Produkte der beteiligten Hersteller einkaufen.

Und auch Distributor Devil mischt mit. Beim IT-Großhändler aus Braunschweig können fußballbegeisterte Händler ein Ticket für das Finale der Europameisterschaften am 1. Juli in Kiew gewinnen. Die Voraussetzung: Sie müssen fleißig Microsoft-Produkte ordern. Interessant in diesem Zusammenhang übrigens ein Statement von Devil-Marketingleiterin Nicole Hoffmann. Sie sagt: "Speziell unter den Microsoft-Partnern kennen wir viele leidenschaftliche Fußball-Fans." Da fragt man sich natürlich, ob es unter den Microsoft-Partnern tatsächlich mehr Fußball-Fans gibt als beispielsweise unter den HP- oder Symantec-Händlern. Und wenn ja, warum? Gibt es vielleicht sogar einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen der Partnerschaft mit einem bestimmten Hersteller und dem Interesse an einer bestimmten Sportart? Sind vielleicht SAP-Partner stärker an Bodenturnen interessiert als alle anderen? Wäre es nicht interessant, dies einmal wissenschaftlich zu erforschen? Ich denke: Nein.

Lieber Herr Heinrich, dies ist nur ein kleiner Auszug aus den vielen Meldungen über immer neue Anreize der Hersteller und Distributoren, mit denen die Vertriebspartner dazu "motiviert" werden sollen, die Produkte eines bestimmten Herstellers bevorzugt einzukaufen (von "Verkaufen" ist übrigens bemerkenswerter Weise nie die Rede). Das Prinzip, das dahinter steckt, ist in meinen Augen dasselbe wie im Fall der Fleißkärtchen, welche früher die Lehrerin in der Grundschule an diejenigen Kinder verteilt hat, die sich besonders viel Mühe gegeben haben. Deshalb habe ich auch keine Scheu zu sagen, dass das, was die Distributoren und Hersteller hier machen, nichts anderes als eine "Infantilisierung des IT-Handels" ist.

Ich denke, wenn die Hersteller ihren Partnern gute Margen beim Verkauf der Produkte ermöglichen würden, hätten sie solche Mätzchen nicht nötig. Zumal solche Anreize ja immer nur kurzzeitig wirken. Ist die Aktion vorbei, fallen die Bestellungen der Händler im besten Fall wieder auf das Ausgangsniveau zurück.

Lieber Herr Heinrich, Sie sind ja Spezialist für alle Fragen, die mit dem Vertrieb zu tun haben, und Sie haben selbst Erfahrungen als Vertriebsleiter in der Distribution (u.a. CHS) gesammelt. Daher an Sie die Frage: Funktioniert so etwas wirklich? (Offensichtlich, sonst würde es wohl kein Hersteller und Distributor mehr machen.) Und wenn ja, was sagt uns das über den IT-Handel? Das würde mich wirklich interessieren.

Beste Grüße!

Damian Sicking

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale ()