Supreme Court: Julian Assange kann ausgeliefert werden

Der schwedische Haftbefehl gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange ist nach Meinung des obersten britischen Gerichts nicht zu beanstanden. Assanges Verteidigerin hat bereits Einspruch eingelegt.

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Von
  • Detlef Borchers

Der Supreme Court, das höchste britische Gericht, hat geurteilt, dass der schwedische Haftbefehl gegen Julian Assange von einer autorisierten Behörde ausgestellt wurde und er demnach an Schweden ausgeliefert werden muss. Assanges Verteidigerin hat gegen dieses Urteil (PDF-Datei) Einspruch eingelegt, weil es ihrer Ansicht nach auf dem Wiener Übereinkommen beruhe, das selbst nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen sei. Sie erhielt vom Gericht 14 Tage Zeit, diese Argumentation zu begründen.

Der Vorsitzende des Supreme Court, Lord Phillips of Worth Matravers, betonte in der zehn Minuten dauernden Verhandlung in Abwesenheit von Julian Assange, dass das Gericht nicht über den schwedischen Haftbefehl gegen Assange entschieden habe, sondern sich wie in der Verhandlung des Falles einzig mit der Frage beschäftigt habe, was eine "traditional autority" im Sinne des europäischen Haftbefehls sei. Assanges Verteidiger hatten zuvor bemängelt, dass eine solche Autorität nur ein unabhängiger Richter sein könne. Mit zwei Gegenstimmen gelangte der Supreme Court mehrheitlich zu der Auffassung, dass im Rahmen der EU der europäische Haftbefehl auf Französisch von einer "autorité judiciaire" spreche. Dieser Begriff sei anders als im Englischen breiter gefasst und daher auch auf eine Strafverfolgungsbehörde anwendbar. Somit sei der schwedische Haftbefehl nicht zu beanstanden.

Unabhängig von dem vertragsrechtlichen Einwand seiner Verteidigerin kann Julian Assange auch einen Einspruch gegen das Urteil vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen. Dieser muss dann innerhalb von 14 Tagen entscheiden, ob der Fall zur Verhandlung angenommen wird. So lange würde Assange unverändert mit allen Auflagen wie dem Tragen einer Fußfessel unter britischer Aufsicht bleiben, wie der CrownProsecution Service bereits deutlich gemacht hat. Entscheidet sich der Gerichtshof gegen eine Anhörung von Assanges Einspruch, muss dieser unverzüglich an Schweden ausgeliefert werden.

Wikileaks selbst hatte vor der Urteilsverkündung durch den Supreme Court eine Presseerklärung verschickt, in der alle Äußerungen aus den USA aufgeführt werden, nach denen das Land Interesse daran hat, Assange zu internieren. Auch die von Wikileaks vermutete "Komplizenschaft" von Australien, Großbritannien und Schweden wird ausführlich dokumentiert.

Zum Umfeld der Entscheidung gehört auch ein neues Buch über die Hackerbrigaden von Anonymous, dass die Londoner Bürochefin von Forbes, ParmyOlson veröffentlicht hat. In "We are Anonymous – Inside the Hacker World of Anonymous, LulzSec and the Global Cyber Insurgency" gibt es mehrere Passagen, die auf eine engere Verschränkung von Anonymous und Wikileaks hindeuten. Einige Buchpassagen sind in Auszügen (PDF-Datei) bei Cryptome erschienen. So habe eine Anonymous zugerechnete Hackerin namens "Kayla" mit Wikileaks zusammengearbeitet, während ein weiterer Anonymous namens "q" insgesamt 60.000 Dollar aus der T-Shirt-Kasse von Wikileaks entwendet und auf ein Privatkonto umgeleitet habe.

Laut einer anderen Passage (PDF-Datei) hat eine Person namens "Sabu" als Kopf von Anonymous versucht, Daten aus dem Einbruch bei der Sicherheitsfirma Stratfor an Wikileaks zu verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt war "Sabu" bereits als Informant des FBI tätig; demnach suchen die US-Behörden nach wie vor Möglichkeiten, Assange zu verklagen. Assange lehnte den Ankauf rundweg ab, bekam die Daten von anderen Anonymous-Hackern und startete später die Aktion Global Intelligence Files, die die Stratfor-Interna dokumentierte. Bis heute ist es ein Stratfor-Dokument vom Januar 2011, das nach Ansicht von Wikileaks beweist, dass Assange bereits von einem Geheimgericht in den USA verurteilt worden ist.

[Update 30.5., 12.42]

Assanges Anwälte haben 14 Tage Zeit, ihre Bitte um eine Neuaufnahme des Verfahrens vor dem Supreme Court zu begründen. Ihr wichtigstes Argument ist, dass in den Überlegungen des Gerichtes auf das Wiener Übereinkommen Bezug genommen wurde, dieses Abkommen in der Verhandlung vor Gericht jedoch keine Rolle spielte. In der Urteilsbegründung (PDF-Datei) finden sich insgesamt vier Passagen, in denen die Richter sich auf Artikel 31 des Wiener Abkommens beziehen, der die Vertragsauslegung eines Staates regelt. Diese Form der Vertragsauslegung sei auf das EU-Rahmenwerk zum europäischen Haftbefehl anzuwenden.

Der Supreme Court hat seinerseits 14 Tage Zeit für die Entscheidung, ob die Causa Assange neu aufgerollt werden muss. Ist dies der Fall, dürfte die weiteren Verhandlungen im Herbst stattfinden, da das Gericht lange Gerichtsferien hat. Lehnt der Supreme Court aber eine Neuaufnahme ab, haben Assange und seine Anwälte 7 Tage Zeit, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Dieser hat wiederum 14 Tage Zeit zu entscheiden, ob er den Fall annimmt. Wird er abgelehnt, muss Assange an Schweden ausgeliefert werden. Wird er angenommen, kann es nach Angaben (PDF-Datei) des Gerichtshofes bis zu drei Jahre dauern, bis Assanges Einspruch behandelt wird. (anw)