Verriss des Monats: Roboter im Sauberspace

Das 21. Jahrhundert saugt: Wie aus der Paris Hilton unter den Staubsaugern ein grundanständiger Vacubot wurde.

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Von
  • Peter Glaser

Das 21. Jahrhundert saugt: Wie aus der Paris Hilton unter den Staubsaugern ein grundanständiger Vacubot wurde.

Früher war ein Staubsauger sowas wie die mechanische Version einer Seegurke, also etwas, das aus nichts als einem Verdauungssystem besteht. Vorne rein, Stoffwechsel, hinten raus. Fortschritte ließen sich nur im Kleinen bewerkstelligen, die Geräte wurden leichter, das Kabel rollte sich von alleine ein. Die Einführung des beutellosen Staubsaugers galt als die schärfste Erfindung seit dem tiefen Teller. Dann kamen die Roboter, und mit ihnen jene merkwürdige Ernsthaftigkeit, die viele Hightech-Produkte umgibt. "Du weißt, du lebst in der Zukunft, wenn es Updates für Staubsauger gibt", kommentierte ein User den Hinweis auf den Kobold VR100 Saugroboter der Firma Vorwerk und die dazugehörige Website.

Das Haushaltsgerät, das aussieht wie eine fahrbare Klobrille, lässt sich mit dem aktuellen Software-Update 2.7 nunmehr verbessert "Wieder-Andocken an die Basis-Station nach unterbrochenem Kontakt, z.B. nach versehentlichem Ziehen des Netzsteckers", auch gibt es eine "optimierte Bodenerkennung". Ähnlich wie eine Cruise Missile muss ein autonomer Staubsauger gleichfalls sein Gelände kennen. Auch das verbesserte "Abspeichern von Treppenkanten und anderen Höhenunterschieden in der Virtual Map" macht schon durch Konzept und Wortwahl unmissverständlich klar, was für eine seriöse Sache das intelligenzgestützte Saugen heutzutage ist. No Fun! Dabei hat die Marke Kobold, wie man es früher manchmal von Damen sagte, eine Vergangenheit. Und die ist nicht nur komisch ist, sondern geradezu aberwitzig.

Der Kobold ist gewissermaßen die Paris Hilton unter den Staubsaugern. Mitte der achtziger Jahre entdeckte ein Mitglied des Chaos Computer Clubs (CCC) in einem alternativen Magazin einen Artikel über Masturbation mit dem Staubsauger. Nun ist nutzeruntypischer Umgang mit technischen Geräten etwas, an dem Hacker stets vorurteilsfrei interessiert sind. CCC-Doyen Wau Holland erklärte einmal, dass jemand, der sich in einem eigentlich für Tee vorgesehenen Wasserkocher eine Suppe heiß macht, bereits auf dem Weg zum Hacker sei. Der Artikel über die vom Hersteller nicht vorgesehene Nutzungsweise des Kobold-Staubsaugers wurde in das Bildschirmtext-Angebot des CCC übernommen. Anfang 1986 verklagte die Firma Vorwerk den CCC wegen einiger der Aufklärung dienenden Erläuterungen zu technische Daten speziell dieses Saugertyps. Sie seien ein "Ergebnis abwegiger Phantasie", genau wie die angebliche Quelle für den Beitrag – eine 1978 in München erschienene Dissertation eines gewissen Theimuras Michael Alschibaja mit dem Titel "Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern".

Es sei "schwer vorstellbar", schrieb der Anwalt von Vorwerk damals dem CCC, "dass deutsche Universitäten derartig abwegige Themen vergeben". Wie sich jedoch herausstellte, tun sie genau das – die akademische Arbeit des Mediziners georgischer Abstammung war penibel recherchiert und echt. Auszug: "Der Vater des in Fall 14 vorgestellten Patienten stellte seinen Sohn am Tag, an dem dieser nach der bekannten Penisverletzung aus dem Krankenhaus entlassen worden war, zur Rede. Er wollte nicht glauben, dass er sich seine Penisverletzung mit einem Staubsauger beigebracht habe. ... Am nächsten Tag beschloss er zu prüfen, ob eine derartige Verletzung mit einem Staubsauger möglich sei. Er steckte zu diesem Zweck seinen Penis in einen laufenden "Kobold"-Staubsauger. ... Er spürte einen stechenden Schmerz."

Vorwerk zog die auf 500.000 DM bezifferte Schadenersatzklage schließlich wieder zurück. Die Kobold-Modelle waren bereits damals einer technischen Revision unterzogen worden, die Verletzungsgefahren nunmehr ausschloss.

2004 erlangte die Geschichte die höheren Weihen der Popkultur, als Charlotte Roche und der Schauspieler Christoph Maria Herbst in einem Kölner Theater aus Alschibajas Dissertation vorlasen und später mit der als "Penislesung" bekannt gewordenen Darbietung erfolgreich auf Tournee gingen. Bei den Lesungen kam es unter den männlichen Zuschauern zu gelegentlichen Ohnmachtsanfällen. Charlotte Roche gelang es mit Hilfe der Doktorarbeit die Basiskompetenz zu erwerben, die sie mit ihrem nachfolgenden Bestseller "Feuchtgebiete" auf furiose Weise auszubauen vermochte. Bei Feuchtgebiete-Lesungen fielen auch Frauen in Ohnmacht.

Aber ich schweife ab.

Wir schreiben das Jahr 2012 und die Stürme der Erotisierung sind über den kleinen Staubsaugernachfolger längst hinweggebraust. Als Roboter ist er desexualisiert, ein unschuldiges Neutrum, dessen "aktualisierte Display-Texte und Fehlermeldungen" sich nicht einmal durch die dazuassoziierte Loriot-Szene mit dem Staubsaugervertreter ihrer Nüchternheit entreißen lassen. Auf bedrückende Weise macht uns das Bodenreinigungsgerät – dessen Aktualisierungsprogramm natürlich nur unter Windows läuft – klar, wie die Zukunft aussehen könnte: technisch immer ausdifferenziertere und smartere Hardware zum Preis schwindender Sinnlichkeit oder doch Abenteuerlichkeit. Die interaktionsfähige Robotisierung macht den Kobold VR100 zum sozialen Medium: "Sie brauchen Hilfe? Wir daten den Saugroboter für Sie up!" ()