"Mit CDs ist kein Geld mehr zu verdienen"

Noch nie wurden in den USA so wenig CDs verkauft wie Anfang 2007. Der dramatische Umsatzverlust der vier großen Labels setzt sich unvermindert fort. Noch bewegen sich die Branchen-Riesen nur langsam.

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Der Musikindustrie geht es schlecht, sehr schlecht. Das ist nichts Neues. Doch schwillt das ewige Mantra der Big Four und ihrer emsigen Öffentlichkeitsarbeiter angesichts schlechter Quartalsergebnisse und schwacher Verkaufszahlen aus den USA wieder hörbar an: Copying kills Music. Niemand bestreitet ernsthaft, dass Filesharing und einfache digitale Vervielfältigungsmöglichkeiten den Plattenfirmen wehtun. Doch macht es sich die Industrie zu einfach, mit dem Finger auf die "Piraten" zu zeigen, ihnen viel Geld für Abschreckungs-Kampagnen hinterherzuschmeißen und ansonsten weiterzuverfahren wie immer. Denn die Zahlen, so schmerzhaft sie auch sein mögen, sagen noch etwas anderes.

Nach der jüngsten Erhebung von Nielsen SoundScan hat sich der 2006 schon bedrohliche Rückgang bei CD-Verkäufen in den ersten Monaten dieses Jahres in den USA dramatisch verschärft und ist im Jahresvergleich erneut um 20 Prozent eingebrochen. 89 Millionen CDs gingen seit dem Jahreswechsel über amerikanische Ladentische, das sind 24 Millionen weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Echte CDs machen immer noch den Großteil der verkauften Alben aus, der Anteil der digitalen Pendants liegt bei nur 10 Prozent. Insgesamt gehen die Absatzahlen der klassischen Vertriebsform "Album" zurück. Nur 60.000 verkaufte Alben reichen in diesen schweren Zeiten für eine Nummer eins in den US-Charts, vor nicht einmal zwei Jahren hat das gerade für die Top 30 gereicht. Die Zeiten, in denen die Chartspitze für eine halbe Million verkaufte Platten stand, sind endgültig vorbei. Gleichzeitig haben Musikfans 288 Millionen Einzelstücke digital gekauft, Anfang 2005 waren es 242 Millionen. Nielsen konstatiert 46 Millionen Kaufentscheidungen mehr als im Vorjahreszeitraum, einen Zuwachs um 19 Prozent. Ähnlich frische Zahlen aus Deutschland gibt es in der kommenden Woche, wenn der Deutsche Phonoverband seinen Jahresbericht vorlegen wird.

Die US-Zahlen weisen auf einen tiefgreifenden Trendwechsel beim Verbraucherverhalten hin, dem sich die Industrie bisher beharrlich verweigert. Das Interesse der Fans ist da; 46 Millionen mehr Transaktionen sind ein deutlicher Hinweis. Nur sind sie nicht mehr bereit, zu den bisherigen Bedingungen zu konsumieren. Der Trend geht weg von der CD zu digitalen Vertriebsformen (das ist schon länger klar); vor allem aber geht der Trend weg vom "Album". Zu lange hat sich die Musikindustrie daran gewöhnt, für einen guten Song auch eine ganze CD verkaufen zu können. Im Zeitalter digitaler Vertriebswege haben die Kunden jetzt die Möglichkeit, nur diesen einen Titel zu kaufen. Diese Chance nutzt man gerne, wenn man sich schon mal über zu viele zweitklassige "Filler" auf einer CD geärgert hat, die man nur wegen eines einzigen Hits gekauft hat.

Branchenkenner prophezeien der CD jetzt das gleiche Schicksal, wie es in Hollywood dem Kinofilm droht: Vom Brot-und-Butter-Geschäft zum reinen Marketinginstrument. "Da ist kein Geld zu machen", sagt der Musikmanager Jeff Rabhan dem Wall Street Journal. Die Verkaufszahlen seien so im Keller, dass er die CD mehr als Marketinginstrument denn als Umsatzbringer verstehe. Die CD wird zum Vehikel für den Künstler als Marke, als Werbemittel für T-Shirts und teure Konzerttickets. Geld verdienen Künstler heutzutage eher mit einer Tour oder Merchandising. Madonna setzte mit ihrer letzten Welt-Tournee über 190 Millionen Euro um.

Der wachsende digitale Absatz wird den momentanen Schwund bei physischen Tonträgern nicht ganz kompensieren können, wie die Plattenfirmen nicht müde werden zu betonen. Zuletzt nannte der Bertelsmann-Konzern ernüchternde Zahlen für seine Beteiligung an SonyBMG: Der weltweite Musikmarkt ist um 7 Prozent geschrumpft, CD Verkäufe im Keller, 5 Prozent weniger Umsatz. SonyBMG macht inzwischen 12 Prozent seines Umsatzes im digitalen Bereich, vor einem Jahr waren es noch 7 Prozent. Das könnte längst mehr sein, meinen Kritiker. Die Musikindustrie stehe sich mit verschiedenen Standards und Kopierschutzsystemen selbst im Weg. Angesichts der neuen Distributionswege und eines veränderten Konsumentenverhaltens mache es wenig Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken und es bei business as usual zu belassen.

Langsam kommt diese Botschaft an. Nachdem Apple-Boss Steve Jobs, der seit iTunes zu den maßgeblichen Figuren des kommerziellen digitalen Musikvertriebs zählt, öffentlich für einen Verzicht auf Kopierschutzssysteme plädiert hatte, rumort es in der Branche. Die Kunden bevorzugen barrierefreie Musik und beziehen diese aus anderen, meist illegalen Quellen. Die Plattformbetreiber haben eine Menge Aufwand mit Digital Rights Management (DRM) und würden darauf lieber heute als morgen verzichten. Mit Musicload hat das zuletzt einer der Big Player auf dem deutschen Markt auch öffentlich gesagt. Noch zieren sich die großen Labels, während zahlreiche Indies bereits einen erfolgreichen, weil DRM-freien Vertrieb simpler MP3-Dateien betreiben. Die Majors werden sich anpassen müssen. Das Marktvolumen schrumpft – vielleicht nicht um die einzeln kolportierten 25 Prozent, aber der Kuchen wird kleiner. Wie viel davon der digitale Vertrieb kompensieren kann, hat die Industrie selbst in der Hand. Wenn sie sich bewegt. (vbr)