Kür oder Pflicht

Die Interaktionsquote bei Google+ ist bescheiden, die Nutzerbasis reicht bei Weitem nicht an Facebook oder Twitter heran, und Werbung ist nicht erlaubt. Dennoch meinen Experten, dass Unternehmen es sich auf Dauer nicht leisten können, Googles soziales Netz nicht zu bedienen, weil dessen Wachstumspotenzial hoch einzuschätzen sei.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Frank Puscher
Inhaltsverzeichnis

Webpionier Ossi Urchs ist nicht gerade als Euphoriker bekannt, er zeichnet sich eher durch Skepsis aus, wenn es um neue Techniken oder Plattformen geht. Zu Google+ aber hat er eine eindeutig positive Meinung. Firmen kämen an diesem sozialen Netz nicht vorbei, vor allem, wenn man den potenziellen Einfluss auf die Suchergebnisse berücksichtige, stellte Urchs im Rahmen der Search-Expo in Frankfurt fest.

Er bezeichnet Google+ gar nicht als soziales Netz, sondern als „social layer“, die soziale Ebene über vielen Google-Produkten. Das wirkt auf den ersten Blick wie eine Kritik im Vergleich zum puristischen Facebook-Universum. Allerdings kann genau das, was Google zeigt, die Zukunft der Netzkommunikation darstellen: Soziale Funktionen dringen in viele Bereiche des Netzalltags ein und stellen einen zusätzlichen Kommunikations- und Interaktionskanal dar.

Bis dahin ist es noch ein gutes Stück Weg. In der Außenwahrnehmung ist Google+ ein soziales Netz mit einer Reihe spannender Funktionen. Einige davon sind Facebook vor allem technisch überlegen (siehe den Kasten „Kernfunktionen von Google+“). Insgesamt hinkt der Interaktionsgrad dem im Zuckerberg-Netz aber weit hinterher. Der Anreiz für Unternehmen, weitere Ressourcen in ein Projekt mit ungewissem Ausgang zu stecken, ist folglich gering. Blickt man allerdings auf die Experimente, die Google mit sozialen Elementen innerhalb der Suchergebnisseiten derzeit betreibt, eröffnet sich schnell eine Perspektive, die sogar zu einem zählbaren Return on Investment im Zusammenhang mit Google+ führen könnte: wenn die Arbeit mit dem sozialen Netz Geld im Bereich Suchmaschinenoptimierung oder -marketing sparen hilft.

Doch der Reihe nach. Das Grundprinzip von Google+ ähnelt dem von Facebook. Es gibt eine zentrale Pinnwand des Nutzers, die die Beiträge von befreundeten Nutzern, Unternehmen oder Organisationen anzeigt. Nutzer veröffentlichen dort ihre Updates und können Informationen weiterleiten und kommentieren. Der erste wesentliche Unterschied zu Facebook ist die Kontaktverwaltung, die in sogenannten Circles abläuft – vom Anwender zu definierende Kreise. Bei jeder Weiterleitung wird der Nutzer gefragt, an welchen Kreis er die Information schicken möchte. So ist die Segmentierung zwischen privat und beruflich ebenso abbildbar wie die dezidierte Kommunikation mit ausgewählten Teilnehmern zu für sie passenden Themen.

Im alltäglichen Netzbetrieb haben die Kreise zwei weitere interessante Aspekte. Sie können als privater Themencontainer dienen (siehe Kasten „Kernfunktionen von Google+“), oder man versammelt unternehmensübergreifend wichtige Personen in einem thematisch festgelegten Spezialisten-Circle (dessen Beiträge öffentlich sein sollen).

Die Grundstrategie für die professionelle Nutzung von Google+ weicht wenig von Facebook oder Twitter ab. Zuhören ist ein guter Startpunkt, und Relevanz in Kommentaren und Posts gilt als das richtige Kriterium. Google+-Experte Chris Brogan ist der Auffassung, dass Business Pages weniger Durchschlagskraft haben als die persönlichen Seiten der Unternehmer oder Mitarbeiter. Er empfiehlt den Unternehmen, statt Marketing-Broschüren Menschen für sich und die Themen der Firma sprechen zu lassen.

Neben den klassischen Weiterleitungen von Bildern, Links, Videos und Textkommentaren, wie man sie aus den anderen Netzen kennt, bietet Google+ weitere Optionen. Wie erwähnt lassen sich komplette Kreise (Expertenlisten) veröffentlichen und damit weiterleiten. Gleiches gilt für die Sparks – Benutzer können Suchbegriffe mit ihren Ergebnissen als öffentlich deklarieren. Das entspricht im Sinne des Social Media Monitoring, bestimmte Themen zu überwachen.

Seine größte Stärke aber zeigt Google+ im Umgang mit Bewegtbildern. Wie bei Facebook können Nutzer kurze Videosequenzen per Webcam aufzeichnen und veröffentlichen. Bei Google+ besteht darüber hinaus die Option, gleich eine kleine Videokonferenz, Hangout genannt, zu starten. Innerhalb dieses Hangout sind maximal zehn Teilnehmer in der Lage, ihren Bildschirm freizugeben und anderen Nutzern zu zeigen.

Online-Zusammenarbeit light: Während der Hangout-Videokonferenz können Teilnehmer Dokumente gemeinsam bearbeiten (Abb. 1).

Es gibt zwei Wege, einen Hangout zu initiieren. Entweder man klickt das Kamera-Icon unter einem beliebigen Beitrag, dann erscheint der Link zum Hangout als Kommentar unter dem Beitrag. Oder man nutzt die für Unternehmen noch interessantere Alternative und startet einen neutralen Hangout über die linke Navigationsleiste. Hier bekommen die Nutzer derzeit Hangout-Extra angeboten, und mit dieser Funktion lassen sich Google-Docs in eine Session einbinden. Der Online-Zusammenarbeit an Dokumenten nebst Sichtkontakt via Webcam steht damit nichts im Wege (siehe Abbildung 1).

Ganz neu sind öffentliche Videokonferenzen, die Google Anfang Mai freigeschaltet hat. Nutzer können Hangouts nun über ihren eigenen YouTube-Kanal öffentlich streamen. Allerdings bleiben deutsche Konten vorläufig noch ausgesperrt, vermutlich aus rechtlichen Gründen (Urheberrecht, GEMA …).

Wer ein Google+-Konto besitzt und eine Suche auf der US-Homepage der Suchmaschinenfirma startet, sieht schon jetzt einiges, das erst in den kommenden Monaten auf die deutschen Nutzer zukommen wird. Da wäre zum Ersten die Anzeige der +1-Angaben. Ähnlich wie bei den Facebook-Likes steht hier die absolute Zahl der Fans einer Website. Diese Zahl erscheint auch bei AdWords-Anzeigen und kann den Leumund des Unternehmens verbessern. Wenn das Google+-Konto die AdWords verwaltet, kann Google diese Daten zusammenziehen. Dazu gehören die oben erwähnten +1-Empfehlungen von der eigenen Website aus. Interessant ist, dass der Link hinter dieser AdWords-Anzeige direkt auf die Business-Seite in Google+ führt, was wiederum den Anwender verwirren kann. Beispielsweise steht bei booking.com diese URL als Link unterstrichen (siehe Abbildung 2).

Die personalisierte Suche (oben) zeigt von anderen Nutzern empfohlene Ergebnisse, der Booking.com-Link führt direkt auf die Google+-Seite (Abb. 2).

Im Kopf der amerikanischen Suche gibt es einen zusätzlichen Button, der auf persönliche Suchergebnisse verweist und dahinter gleich eine Zahl der Treffer anzeigt. Hier wird es spannend: Google filtert die Suche nach Empfehlungen von Google+-Freunden. Auf der Trefferseite erscheinen nicht nur Links und Texte beispielsweise zu Hotels, sondern außerdem Bilder. Da die Empfehlung per +1 häufig auf Google+ direkt ausgesprochen wird, rangieren hier nicht selten die entsprechenden Business-Seiten der Unternehmen vor den Marken-URLs.

In der regulären Suche tauchen die Google+-Pages noch eher selten auf, es sei denn, man erwischt exakt einen Suchbegriff, der im Fließtext eines Kommentars zu finden ist. Die zeitliche Verzögerung, bis der Kommentar in der Suche erscheint, liegt irgendwo im Bereich von fünf Stunden. Hier dürfte über kurz oder lang ein wenig SEO-Hirnschmalz (Suchmaschinenoptimierung) hinfließen.

Wenn Unternehmen davon leben, auf Google gefunden zu werden, sollten sie sich mit Google+ beschäftigen. Wohin der Integrationsansatz gehen kann, zeigt der Hotelfinder. Die Kalifornier bieten Nutzern inzwischen direkte Buchungsmöglichkeiten in den Suchergebnissen an. Hotels, die keinen gut gepflegten Eintrag in Google-Places haben, sind hier nicht präsent.

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Google+-Zahlen

Im Januar 2012 zählte Google+ 90 Millionen Teilnehmer, bis Ende des Jahres schätzt Techcrunch sie auf 400 Millionen. Der +1-Button wird rund fünf Milliarden Mal täglich ausgeliefert. In Deutschland erreicht Google+ 2,2 Prozent aller Nutzer. Zum Vergleich: In den USA sind es schon jetzt 31,5 Prozent, davon rund 20 Prozent Studenten. Der Anteil der Männer liegt bei 67 Prozent. Die erfolgreichste Einzelmarke ist derzeit H&M mit knapp 640 000 Verfolgern. Noch im Dezember 2011 waren es weniger als 100 000. (Quelle: Websitemonitoring.com)

Die gelben Sterne, die einen Anbieter in Suchergebnissen klassifizieren, sind das, was die Grafiker einen Störer nennen. Sie ziehen sofort die Aufmerksamkeit des Nutzers auf sich. Das wird noch stärker, wenn Bilder befreundeter Nutzer unter einem Suchergebnis oder einer AdWords-Anzeige zu sehen sind.

Mittelfristig werden die Google+-Beiträge selbst als Suchergebnisse immer stärker zu sehen sein. Aber in diesem Bereich ist die Firma offensichtlich äußerst vorsichtig. Man will auf keinen Fall die Qualität der Relevanz der Suchergebnisse vermindern. Das ist ein Henne-Ei-Problem. Je mehr Nutzer mit Beiträgen interagieren, umso besser kann die Google-Suche deren Relevanz bewerten. Noch sind es wenige Nutzer, aber glaubt man dem Branchendienst Techcrunch [a], könnten es Ende des Jahres 400 Millionen sein.

arbeitet seit 16 Jahren als Berater, Autor und Journalist im Onlinemarketing. Er wohnt mit seiner Familie in Hamburg.

Alle Links: www.ix.de/ix1207096

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Kernfunktionen von Google+

Auf den ersten Blick ähnelt das Google+-Interface dem von Facebook, aber zur Linken sieht der Nutzer eine Liste mit Funktionen, die beispielsweise die Kreise (Circles) enthält. Follower können mehreren Kreisen angehören. Nachrichten, die man veröffentlicht, werden dezidiert an Kreise geschickt. Erzeugt man einen leeren Kreis namens Bookmark, kann man dorthin wichtige Nachrichten (Links) senden, die man später nachvollziehen möchte.

Nachrichten von allgemeinem Interesse, sogenannte Sparks, ruft man beispielsweise über die Suche auf. Google+ bietet auf der rechten Seite an, diese Suche zu speichern. Dann erscheint der Begriff als direkter Link unter dem Button „Mehr“ in der Kopfnavigation.

Videokonferenzen per WebCam und Mikro, genannt Hangouts, sind die bekannteste Funktion von Google+. Mehrere Benutzer können gleichzeitig Hangouts abhalten und (virtuelle Pressekonferenz) öffentlich ausschreiben. Sie erscheinen nach kurzer Zeit in der Google-Suche.

Im Interface existiert bei jedem öffentlichen Beitrag rechts oben ein Kontextmenü, das den Befehl „Verbreitung anzeigen“ zeigt. Das illustriert die Weiterleitung eines Beitrags von einem Nutzer zum anderen. Im US-Amerikanischen heißt die Funktion „ripples“ (siehe [b] und Abb. 3).

Seit Ende letzten Jahres gibt es eine neue Kreativfunktion: Klickt man auf ein Foto und öffnet dadurch eine Lightbox, erscheint oben links der Link zum Creative Kit, eine umfangreiche Toolbox zur Bildbearbeitung und Verfremdung. Brandneu ist Google+ lokal, eine Verbindung aus Google Places und dem Bewertungssystem Zagat, das die Firma vor zwei Jahren erwarb. Statt wie bisher vor allem auf externe Bewertungsdienste wie Qype oder Yelp zurückzugreifen, kann Google+ den Nutzer nun im eigenen Universum halten und ihm sogar Bewertungen von Freunden prominenter anzeigen.

Der Menüpunkt „Verbreitung anzeigen“ gibt Aufschluss über den Wirkungsradius einzelner Teilnehmer (Abb. 3).

(hb)