4W

Was war. Was wird.

Aus! Aus! Aus! Ach nee, das war was anderes, bemerkt Hal Faber. Es fängt ja gerade erst an: Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr eintretet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 36 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Juchhu! Le Tour hat endlich angefangen. Kein Gejammer mehr über die ach so junge Mannschaft. Bei der Tour hat mal ein Deutscher gewonnen, der sich mittlerweile in Grund und Boden blamiert hat. Da kommt so schnell nix nach: Nicht so eine Blamage, und nur eine schwache Hoffnung, dass es besser wird. Besser wird mit den jungen Radlern vielleicht aber der Medikamentenstadl, den die Fahrer und ihre Betreuer allzuoft aufgeführt haben. Und besser war schon immer das Fahnenschwingen, bei dem weder in der Ebene noch in den Bergen dem "fröhlichen Patriotismus" gefröhnt wird, der dann doch nur wieder in die üblichen Ressentiments ausartet, wenn man sich nicht eh den Kopf bis zur Besinnungslosigkeit schon vor dem Spiel weggesoffen hat. Ach. "Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate!" - vielleicht sollte besser dieses Dante-Zitat über dem Eingang der deutschen Stadien stehen, in Erinnerung daran, dass alle Hoffnung dahinfährt, wenn hierzulande noch der letzte fahnenschwingende Rassist mit Sommermärchen-Rabulistik zum fröhlichen Patrioten umgedichtet wird.

*** Die Kickerei im Osten ist aber noch nicht zu Ende, doch diese Fußball-Europameisterschaft hat mit dem zweiten Tor von Mario Barwuah Balotelli ihr wundervolles Bild gefunden. Der unbeugsame schwarze Sklave, der das lächerliche Nationalhemdchen abstreift und mit seinem Körper protestiert, ist allerbeste Ikonografie. Diese Geste kann man durchaus mit der lächerlichen Debatte mit nationalistischem Hämchen in Beziehung setzen, ob Tagesschau-Sprecher Ingo Antonio Zamperoni lächeln durfte. Natürlich durfte er das, genauso, wie wir lachen dürfen, dass sich Trainerkönig Joachim Löw ganz im Geiste der Kabinenbesucherin Merkel mit einer katastrophalen Aufstellung seiner Laufburschen verzockte. Auch der Vergleich der deutschen Nationalmannschaft mit deutschen Autos reizt zum Lachen, zumal der Kolumnist "Charakter" fordert. Keiner der hochbezahlten Löwe-Bubis hat den Treiner bei dieser Aufstellung gefragt, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. In Deutschland wird Gehorsam groß geschrieben.

*** Eben selbigen demonstrierte Kanzlerin Merkel in Brüssel, als in der Mario-Monti-Show aus Merkels eisernem Nein zum Bankengeld ein quarkartiges Nunja wurde. Ich bin doch hier, was wollt ihr mehr? Wenn 20 Prozent des gesamten europäischen Privatvermögens bei der Rettung von Europa verloren gehen, werden wir alle bald völlig anders leben und arbeiten müssen, unkt die Zeitung, hinter der kluge Köpfe stecken. Dass sie nicht sagen, wie anders gelebt, wie gearbeitet werden muss, ist besonders klug. Spam nach dem Motto "Deutschland will Ihr Geld vernichten. Nutzen sie sofort unsere Informationen aus unserem Geheim-Bericht, um sich zu retten", hat in dieser Woche Viagra-Spam und Werbung für all die anderen Edelpillen verdrängt. Doch die Menschen sind unruhig und wandern umher, bis ins gelobte Nigeria, wo die Millionen warten.

*** Ein Blick geht nach Amerika: In den USA hat der oberste Gerichtshof über den "Patient Protection and Affordable Care Act" der Regierung Obama geurteilt und die Begründung dabei so salomonisch gehalten, dass die besonders schnellen Medien wie Twitter eine Niederlage verkündeten, während erst bei längerer Ausführung klar wurde, dass Obama in seinem wichtigsten Vorhaben bestätigt wurde. Die Richter werteten die Krankenversicherungspflicht als Steuer, die zu erheben Sache des Staates und nicht der Bundesstaaten ist. Ob die US-amerikanische Industriegesellschaft nun menschlicher wird, ist noch nicht ausgemacht. Doch mit diesem Urteil im Rücken in den Wahlkampf zu ziehen, bedeutet auch, dass Obama und seine Berater alle Themen vermeiden werden, die Futter für Hardliner aller Lager sind. Die Gegner von Obama, die immer wieder Wikileaks und die Publikation der Botschafts-Depeschen in ihrem Kampf gegen "Obamacare" als Beispiele anführen, wie schlecht die Regierung Geheimnisse aufbewahrt, bekommen keine Munition mehr.

*** Julian Assange mag da auf seiner Luftmatratze in der Botschaft von Ecuador mit seiner Schwedenangst verschimmeln, bis die Regierung von Ecuador ihre Linie gefunden hat. Assange ist abgemeldet, Wikileaks als Plattform ist tot. Wer als Journalist diese Geschäftsbedingungen von Wikileaks zur Veröffentlichung des Stratfor-Materials liest und akzeptiert, dem ist nicht zu helfen. Wie schreibt es John Young von Cryptome in aller Deutlichkeit?

Again, WikiLeaks is inducing participation in a crime covered with pseudo-journalistic exculpation. Again excluding open public access in favor of contractual marketing of stolen material and aiding its profitable commercialization.

*** Niemand will das Material kommerzialisieren, dass Polizei und Verfassungsschutz bei der Verfolgung von Aktivitäten des "nationalsozialistischen Untergrundes" sammelten. Alle wollen es lesen. Doch das ist nicht so einfach, weil Akten genau dann geschreddert wurden, als im letzten November die ganzen Zusammenhänge aus dem Leben der Nazi-Terroristen bekannt wurden. Dazu wurde die Schredder-Aktion auf den Januar 2011 zurückdatiert, weil der Schredderer meinte, mit der Aktion Konfetti gleich sieben Fliegen auf einen Streich zu schreddern. Die Akten lagen so lange bei den Verfassungsschredderern, dass sie eigentlich längst vernichtet gehörten. Statt sie nun auszuwerten, wurden sie genau dann vernichtet, als die Brisanz des Materials erkannt wurde. Es ist schlichter Wahnsinn und dieser hat Methode, wenn eine brisante E-Mail an den Verfassungsschutz liegen bleibt, weil sie a) an die offizielle Kontaktadresse der Homepage geschickt wurde und b) vor Rechtsschreibfehlern wimmelte. Damit konnte sie von keiner Polizeibehörde stammen. Wer nach diesen Lektionen in Sachen Inkompetenz den "Verfassungsschutz" beibehalten will, darf nach der eigenen befragt werden. Die Forderung der Linken, den demokratisch nicht kontrollierbaren Verfassungsschutz aufzulösen, ist auch unter anderen Gesichtspunkten mehr als berechtigt.

Was wird.

Am Montag werden die letzten Flaggen weggepackt. Die Fußballfans verschnaufen, während die Tour endlich richtig ins Rollen kommt und die olympischen Spiele sich ankündigen: No limos! No logos! No launchers!, dabei ist es eigentlich eine tolle Gelegenheit, heute die Deutschlandfahne rauszuholen und das Liedlein vom Glücksbrühen zu schmettern: Am Montag treten in Bayern die ersten 16 Cybercops ihren Dienst bei der Polizei an, die nicht die typische Laufbahn eines Polizeibeamten hinter sich haben. Ehemalige Admins, Programmierer und Wirtschaftsspezialisten wurden im einjährigen Schnelldurchlauf an der Waffe trainiert, mit den Polizeigesetzen vertraut gemacht und schlagen nunmehr zu, die Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen, bei aufgetauchten Kinderpornos oder Gewaltvideos zu ermitteln. Im Unterschied zu früher eingesetzten PC-Spezialisten wurden die Cybercops verbeamtet "und können somit eigenständige Ermittlungsmaßnahmen durchführen und strafprozessuale Beschlüsse durchsetzen." Bayern ist Vorreiter, doch bundesweit sollen bald 52 dieser neuen Cybercops arbeiten. Wir atmen auf: Das Internet wird auf einmal wieder viel sicherer.

Was die Polizei alles unternimmt, um uns dieses warme Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit zu geben, verdient unseren Respekt. Man denke nur an die fürsorgliche Belagerung terroristischer Mobiltelefone durch 250.000 stille SMS in Nordrhein-Westfalen oder 440.000 stille SMS durch das Bundeskriminalamt und die Verfassungsschredderer. In der kommenden Woche wird eine Antwort auf diese kleine Anfrage der Linksfraktion erwartet, die nach den Dienstleistern fragte, die die notwendige Software für die Aussendung und Auswertung der stillen SMS programmieren. Auch sie haben schließlich unseren Respekt für die Idee verdient, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung als standortbezogenen Dienst am Bürger neu zu definieren. Wo bleibt eigentlich unsere Variante der Hauswart-App?

Eine Frage, viele Rätsel und der Sommer hat uns im Griff. Während urlaubende deutsche Politiker vom Bundestagspräsidenten Lammert davor gewarnt wurden, zu weit hinauszuschwimmen, bleiben wir am Ufer und lösen Rätsel um Rätsel: Vorschläge für das alljährliche Sommerrätsel werden dankend angenommen. (jk)