Umweltpolitischer Kulturkampf

In Japan toben derzeit viele Stromsparideen durch die Gesellschaft. Doch die wichtigste bleibt ungedacht: die Veränderung des Lebensstils.

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Von
  • Martin Kölling

In Japan toben derzeit viele Stromsparideen durch die Gesellschaft. Doch die wichtigste bleibt ungedacht: die Veränderung des Lebensstils.

Beim Stromsparen und bei Maßnahmen gegen den Klimawandel gibt es zwischen Deutschland und Japan einen großen kulturellen Unterschied. Deutsche denken und reden viel über den Wandel unseres Lebensstils, wenn es um Umweltschutz geht. Und oft schwingt der Gedanke mit, dass die Menschen entweder zu ihrem Glück gezwungen oder etwas für eine bessere Umwelt opfern werden müssen – sei es Geld, Mobilität oder Bequemlichkeit. Den Japanern hingegen ist der Opfergedanke fremd. Hier denken die Firmen eher darüber nach, wie auch der materielle Lebensstil mit Energiespartechniken beibehalten oder gar verbessert werden kann. Denn die Menschen, so erklärte es mir ein hiesiger Konzernchef einmal, würden nicht verzichten wollen. Das sei nun mal das menschliche Wesen.

Beide Ansätze haben ihre Vor- und Nachteile, über die ich hier nicht nachdenken will. Ein Nachteil der japanischen Methode ist aber, bestehende Denkverbote nicht zu brechen. Das jüngste Beispiel ist ein neuer Getränkeautomat von Coca-Cola Japan. Das neue Testmodell kann Getränke ohne elektrische Kühlung für mehrere Stunden kühl halten, selbst wenn der Automat in der prallen Mittagssonne brütet. Erreicht wird dies unter anderem durch bessere Isolierung.

Die Idee der Aktion ist auf den ersten Blick extrem lobenswert. Coca-Cola will damit einen Beitrag zur Senkung des Stromverbrauchs in der Spitzenlastzeit leisten. Zur Erinnerung: Japan hatte voriges Jahr eine Atomkatastrophe. Daher sind derzeit alle Atommeiler abgeschaltet, einer wurde jüngst wieder hochgefahren. Durch das plötzliche Fehlen des Atomstroms, der vor der Krise einen Anteil von rund 30 Prozent ausmachte, droht vielen Regionen im Sommer große Energienot, im schlimmsten Fall sogar Stromsperren. Und am höchsten ist der Verbrauch in den frühen Nachmittagsstunden, wenn die Klimaanlagen in Büros und Kaufhäusern unter Volllast laufen, um die Menschen vor dem Hitzekollaps zu bewahren. Getränkeautomaten gehören dabei zu den größeren Stromfressern.

Mehrere Millionen Automaten überziehen das ganze Land, um den Menschen bequemen Zugang zu ein bis zwei Dutzend kalten Erfrischungen oder heißem Dosenkaffee zu gestatten. Die Automaten sind daher mit zwei Metern Höhe und gut einem Meter Breite wahre Mega-Kühlschränke. Vor der Krise wurde rechnerisch allein ein Atommeiler zu ihrer Stromversorgung benötigt. Wenn der neue Automat nun tagsüber 95 Prozent weniger Strom verbrauchen sollte als bisherige Modelle, stellt das auf jeden Fall eine willkommene Entlastung dar.

So weit, so innovativ, so gut. Doch niemand stellt die grundsätzlichere Frage: Braucht das Land überhaupt so viele Getränkeautomaten? Denn auch ohne sie ist die Versorgung mit Erfrischungen phänomenal. Dafür sorgen die Convenience-Stores. Das sind Mini-Supermärkte mit einer Maxi-Öffnungszeit von 24 Stunden. Über 40.000 davon überziehen die Nation. In Städten ist das Netz sogar so eng, dass Bewohner selten länger als drei bis fünf Minuten gehen müssen, um sich mit Getränken, Süßigkeiten, Kosmetik, Schreibwaren, Fertigmahlzeiten, Obst, Gemüse und Geld zu versorgen. Auch vor oder in Bahnhöfen gibt es diese Shops.

Doch der Verstoß gegen eines der vielen Denkverbote in Japan, die Aufgabe von etwas Bequemlichkeit für ein größeres Wohl, wurde bisher nicht ernsthaft diskutiert. Vielleicht ändert der Streit über die Atomkraft nun die Denkkultur. Immerhin schwellen die Anti-Atomkraft-Demonstration immer weiter an. (bsc)