Russland zieht mit neuen Gesetzen Daumenschrauben fester

Behörden können künftig ohne gerichtliche Entscheidung Webseiten sperren lassen. Für üble Nachrede drohen weitaus drastischere Strafen. Bürgerrechtler warnen vor Missbrauch und Druck auf Regierungsgegner.

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Von
  • Ulf Mauder
  • Benedikt von Imhoff
  • dpa

Mit zwei neuen umstrittenen Gesetzen zieht Kremlchef Wladimir Putin nach Ansicht von Bürgerrechtlern die Daumenschrauben gegen seine Kritiker weiter an. Ungeachtet internationaler Proteste erlaubte das Parlament in Moskau erstmals eine gesetzliche Sperrung von Internetseiten. Gemäß dem am Mittwoch verabschiedeten Gesetz geht es dabei vor allem um den Schutz für Kinder. Allerdings befürchten Gegner politischen Missbrauch sowie Zensur. Zudem brachte die Staatsduma ein Gesetz über deutlich drastischere Strafen für Verleumdung auf den Weg.

Das von der Kremlpartei Geeintes Russland dominierte Parlament stimmte nach Angaben der Agentur Interfax am Mittwoch in erster Lesung dafür, die Strafen für üble Nachrede von bislang maximal 3000 Rubel auf bis zu 500.000 Rubel (rund 12.500 Euro) oder fünf Jahre Haft zu vervielfachen. Damit würde der Tatbestand nach nicht mal einem Jahr wieder ins Strafgesetzbuch zurückkehren. Eine Entscheidung könnte schon am Freitag fallen.

Dann wird die Duma voraussichtlich auch ein weiteres umstrittenes Gesetz annehmen, nach dem sich vom Westen finanzierte Nichtregierungsorganisationen künftig als "ausländische Agenten" bezeichnen müssen. Erst vor kurzem waren die Strafen für Verstöße gegen das Demonstrationsrecht drastisch verschärft worden. Kremlgegner werfen Putin vor, mit den in Windeseile durchgepeitschten Gesetzen seine Kritiker noch heftiger unter Druck setzen zu wollen.

Nach dem neuen Internet-Gesetz können Behörden künftig ohne Gerichtsbeschluss schwarze Listen anlegen und Internet-Seiten blockieren lassen. Als Gründe für eine Sperrung sind Inhalte mit Kinderpornografie, eine Verherrlichung von Drogenkonsum und Aufrufe zu Selbstmorden aufgeführt. Gegen die Annahme hatten mehrere Internetanbieter und Verbände protestiert. Auch die EU hatte sich besorgt gezeigt wegen der möglichen Einschränkung demokratischer Freiheiten.

Die russische Ausgabe der Wikipedia hatte am Dienstag aus Protest gegen das Gesetz seine russischen Seiten gesperrt. Das Internet gilt in der ansonsten von Staatsmedien geprägten Medienlandschaft bislang als einer der letzten Räume für Meinungsfreiheit in Russland. Der prominente Blogger und Anwalt Alexej Nawalny warnte davor, dass durch Kommentare auf Webseiten und in Online-Foren sowie durch gezielte Provokationen Seiten zu einem Fall für die Behörden werden können. Immer wieder waren Oppositionsseiten in der Vergangenheit in Russland nicht erreichbar.

Vor der Verabschiedung des Gesetzes war eine Formulierung zum Schutz vor "schädlichen Informationen" gestrichen worden, wonach die Gefahr einer beliebigen Sperrung noch größer gewesen wäre. Die schwarzen Listen sollen vom 1. November an entstehen. (anw)