Expedition ins Webiversum

Wer Suchmaschinen benutzt, durchwühlt das Netz. Wer die Internet Map anklickt, schaut den Menschen beim Wühlen zu. Die Schöpfung des russischen Programmierer Ruslan Enikeev zeigt damit weit mehr als die digitale Struktur des World Wide Web. Sie verrät etwas über die geistige Struktur des Menschen.

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Von
  • Robert Thielicke

Wer Suchmaschinen benutzt, durchwühlt das Netz. Wer die Internet Map anklickt, schaut den Menschen beim Wühlen zu. Die Schöpfung des russischen Programmierer Ruslan Enikeev zeigt damit weit mehr als die digitale Struktur des World Wide Web. Sie verrät etwas über die geistige Struktur des Menschen.

Die Internet Map ist eine Momentaufnahme der digitalen Welt von Ende 2011. Sie ordnet 350.000 Webseiten aus 196 Ländern nach ihrer Bedeutung. Als Grundlage dienten mehr als zwei Millionen Links. Enikeevs Algorithmus wertete aus, wie oft eine bestimmte Seite angesteuert wurde und von welcher Seite die Nutzer gekommen sind. Jede Webpage ist als Kreis repräsentiert. Umso mehr Zugriffe sie verzeichnet, desto größer ist der Kreis. Darüber hinaus liegen jene Kreise dicht beieinander, zwischen denen Nutzer besonders häufig hin und her wechseln. Verschiedene Farben zeigen an, welcher Nation die Internetseiten zugeordnet sind. Ein Raum bunter psychedelischer Blasen tut sich auf. Ein Webiversum, das gleichzeitig viel über die Welt außerhalb des Internets verrät – und dabei erstaunliche Querverbindungen sichtbar macht.

Wer die Internet Map besucht, kann nach einer Homepage suchen oder einem Land. Die Karte gibt an, welche Rolle diese Internetseite sowohl im globalen als auch im nationalen Gefüge spielt. Wenig verwundrlich ist, dass Google und Facebook die größten Blasen sind. In Deutschland, dem Land der Schnäppchenjäger, ist neben diesen beiden Ebay die meistbesuchte Homepage. Die Karte zeigt darüberhinaus auch den unheimlichen Erfolg von Chinas Zensur. Um die Suchmaschine Baidu beispielsweise gibt es nahezu nur orangefarbene Kreise, Andersfarbiges und damit Unchinesisches hat die Größe von Staubkörnern. Gleiches gilt übrigens für den Iran. Erstaunlich ist allerdings, dass auch Japan ziemlich monochrom aussieht. Auch hier scheinen die Bewohner vorwiegend um sich selbst zu kreisen – wenn auch aus eigenem Entschluss.

Die Internet Map.

(Bild: Ruslan Enikeev)

Aber immerhin ist in diesen drei Ländern was los. Andere Regionen des Webiversums sind da weit einsamer. Rund um das afrikanische Mali beispielsweise sind die Kreise dünn gesät, dort ist im wahrsten Sinne die Wüste des Internet. Aber es gibt auch eine gute Nachricht von den Randzonen des Webiversums. Dort existiert zwar ein gigantisches Rotlichtviertel, aber von den Routen der meisten Surfer ist es so weit entfernt wie ein afrikanischer Wüstenstaat.

Man wundert sich jedoch, was www.tuenti.com in der Nachbarschaft macht. Tuenti ist eine Art spanisches Facebook für junge Leute, das allerdings nur auf Einladung funktioniert. Wir nehmen einfach mal an, es geht dabei nicht um Sex und Enikeevs Algorithmus hat falsch gerechnet. Das hat er dann bestimmt auch bei einer anderen überraschenden Nachbarschaft: Gleich neben Bundesregierung.de und der Homepage des Bundeswirtschaftsministeriums tummelt sich www.slogans.de. Was das ist? Nach eigener Auskunft das „große Portal der Werbeslogans, Claims und Marken“. Da fragt man sich: Reden Politiker die Lage mittlerweile so schön, dass selbst Werber von ihnen lernen können? (rot)