Die Woche: Der Desktop zersplittert

Konkurrenz belebt das Geschäft – bei Linux-Desktops entsteht allerdings derzeit so viel Wettbewerb, dass es mittelfristig zum Nachteil aller sein könnte.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Thorsten Leemhuis

"Gnome verliert Marktanteile und Bedeutung" war einer der Aspekte, die der langjährige GTK+- und Gnome-Entwickler Benjamin Otte kürzlich in seinem Blog-Eintrag "Staring Into the Abyss" anriss. Das hört sich nach einem Gnome-spezifischen Problem an – letztlich hat es aber Auswirkungen für alle Linux-Desktops.

Denn ob man jetzt Gnome liebt oder nicht mag: Bis vor rund eineinhalb Jahren war es der dominierende Desktop der Linux-Welt und KDE der wesentliche Konkurrent. Zeitschriftentexte und Internet-Howtos brauchten daher nicht allzu viele "if-then-else"-Konstrukte, um Anwendern zu erläutern, wo und wie sie Zweischirmbetrieb, Audio-Ausgabe, Desktop-Hintergrund oder Datum und Uhrzeit konfigurieren. Durch seine dominante Stellung hat Gnome viele Standards gesetzt und größeren Umbauten zum Durchbruch verholfen – NetworkManager, Pulseaudio, PackageKit, Dbus, Upower oder Udisks beispielsweise. Keiner dieser Bausteine ist perfekt und manche haben anfangs haufenweise Probleme bereitet; aber letztlich haben sie die Eignung von Linux für Heim- und Arbeitsplatz-PCs spürbar verbessert und sind jetzt auch bei KDE im Einsatz.

In den letzten 18 Monaten hat sich die Desktop-Welt aber gewandelt: Erst ist Canonical auf Unity umgeschwenkt – und hat dabei etliche bisherige Gnome-User mitgenommen. Wenig später folgte dann die heiß erwartete Gnome-Version 3 mit seiner Gnome Shell; die war das allerdings so anders als traditionelle Desktops, dass viele Gnome-Nutzer den Schritt nicht mitmachen wollten. So entstanden der Gnome-2-Fork Mate, gerade in Version 1.4 erschienen, und der Gnome-Shell-Ableger Cinnamon, die mit ihrem traditionellen Desktopkonzept schnell viele Fans fanden. Etliche von Gnome 3 und Unity verprellte Gnome-2-Anwender haben sich auch Xfce zugewandt, das so an Bedeutung gewonnen hat.

Statt zwei sind es daher nun sechs Desktops, die hoch in der Gunst der Anwender stehen. Diese Konkurrenz wird sicher das ein oder andere nützliche Bedienkonzept entstehen lassen; aber das wird die Nachteile, die der Wettbewerb und die Zersplitterung mit sich bringen, nicht aufwiegen können. So verteilt sich die ohnehin schon rare Zeit der Betatester nun auf mehrere Desktop-Umgebungen. Bei gemeinsam genutzten Komponenten müssen sich die Entwickler zudem mehr abstimmen. Insbesondere bei größeren Umstrukturierungen verkompliziert das die Arbeit, denn das kostet nicht nur die Zeit, sondern auch Nerven der Entwickler; schon die Zusammenarbeit zwischen Gnome und KDE lief manchmal mehr schlecht als recht. Und selbst wenn das mit den vielen Desktops jetzt gut klappt: Nicht wenige Dinge werden für jeden Desktop wieder neu erfunden, was auch einiges an Entwicklerzeit bindet.

Diese Energie hätte der Lösung größerer Probleme sicher gut getan – von denen gibt es bei Linux-Desktops und deren Unterbau noch reichlich, wie man immer wieder sieht, wenn man Linux-Neulinge bei ihren ersten Gehversuchen beobachtet. Durch die Zersplitterung wird es bis zur Lösung dieser Probleme wohl etwas länger dauern. Wenn ich noch an den von vielen gehegten Wunschtraum "Linux auf dem Desktop" glauben würde, dann würde ich sagen, der rückt damit wieder etwas weiter in die Ferne… (thl) (thl)