Die Mutter aller Lügen

Ob die Mars-Sonde Curiosity Zeichen von Leben auf dem Roten Planeten entdecken wird, ist noch völlig unklar. Ganz sicher wird die Sonde jedoch dafür sorgen, dass alte Verschwörungstheorien wieder hochkochen.

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Ob die Mars-Sonde Curiosity Zeichen von Leben auf dem Roten Planeten entdecken wird, ist noch völlig unklar. Ganz sicher wird die Sonde jedoch dafür sorgen, dass alte Verschwörungstheorien wieder hochkochen. Die Frage ist nur, wie lange es dauert, bis beispielsweise die Geschichte vom Marsgesicht wieder in den einschlägigen Blogs und Foren diskutiert wird.

Mitte 1976 hatte der Orbiter von Viking 1 die Region Cydonia, nordöstlich der Hügelformation Chryse Planitia fotografiert und dabei eine Struktur aufgenommen, die wie ein Gesicht aussah. Der wissenschaftliche Leiter der Mission, Gerald Soffen, interpretierte das „Gesicht“ zunächst als optische Täuschung, die aus den speziellen Lichtverhältnissen bei der Aufnahme entstanden ist.

Vincent DiPietro und Gregory Molenaar, zwei Computerspezialisten, die im zentralen NASA-Archiv arbeiteten, entdeckten bei der Durchsicht der Daten jedoch weitere Aufnahmen, die unter anderen Winkeln fotografiert, ebenfalls diese Struktur zeigten. Sie bereiteten die Daten mit selbst entwickelten Filtern auf und fanden so nach eigenen Angaben weitere Details in den Bildern, die belegen sollten, dass das „Gesicht“ künstlichen Ursprungs sei.

Der Journalist Richard C. Hoagland deutete diese Strukturen als Überreste von Pyramiden und einer Stadt. Die hochaufgelösten Aufnahmen der Sonde Mars Global Surveyor vom 5. April 1998 - aufgenommen aus 444 Kilometern Höhe - sind laut Hoagland natürlich gefälscht. Genau wie die 3D-Bilder aus den Daten der ESA-Sonde Mars Express. Auf seiner Website veröffentlicht Hoagland, der davon überzeugt ist, dass SIE Wissen über untergegangene außerirdische Zivilisationen zurückhalten, regelmäßig Geschichten, gegen die ein Erich von Däniken regelrecht blass daherkommt.

Am besten hat mir die Mond-Geschichte gefallen: Auch da gibt es laut Hoagland semitransparente Trümmer altertümlicher Gebäude aus Glas und andere technische Artefakte, die auf sämtlichen veröffentlichten Bildern natürlich herausretuschiert worden sind. Die Astronauten, die persönlich auf der Mondoberfläche waren und das bezeugen könnten, sind alle einer Hypnose unterzogen worden - mal ehrlich, haben Sie sich nicht auch gefragt, warum die „Mooonwalker“, die noch leben, alle so schräg drauf sind? Viele Medien haben das mit dem quasi-religiösen Erlebnis erklärt, das so ein Spaziergang auf einem fremden Planeten sicherlich ist. Aber die DIREKTE Erklärung ist natürlich viel einleuchtender. Aber Moment, soll das etwa heißen, die Amis waren wirklich auf dem Mond? Ich dachte immer, das sei auch eine Lüge. Ja, sagt Hoagland, das war auch eine - aber ein indirekte. Das Gerücht von der erfundenen Mondlandung ist von der NASA selbst in die Welt gesetzt worden, um die Beweise für eine antike Mondzivilisation leichter verschleiern zu können - wenn Du sie nicht überzeugen kannst, verwirre sie!

Spaß beiseite. Es ist leicht, sich über die Hoaglands dieser Welt lustig zu machen. Oder den Kopf zu schütteln über die Dummheit früherer Generationen. Percival Lowell beispielsweise, ein Industrieller, der von seinem Obervatorium in Flagstaff den Mars beobachtete, hatte Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere sehr populäre Bücher über den Mars und seine Kanäle veröffentlicht. 1911 widmete die New York Times Lowell fast eine ganze Seite, auf der er erklärte, welch fantastische Fortschritte die Marsianer in den letzten zwei Jahren beim Bau der Kanäle gemacht hätten.

Aber das Lachen bleibt mir im Hals stecken, wenn ich mir das Video der Curiosity-Landung auf der NASA-Website ansehe: Eine schön geschnittene Mischung aus Computergrafik und Dokumentarfilm, unterlegt mit dramatischer Filmmusik - schnell, bunt und mit ganz viel Hightech-Anmutung. Da brettert die Sonde in die Atmosphäre wie ein Surfer in die Brandung, da donnern Bremsraketen und knallen Fallschirme - aber das Ganze ist genauso „echt“ wie die Mars-Zeichnungen in Lowells Büchern.

Der Wettbewerb um eine möglichst spannende, unterhaltsame Darstellung von Wissenschaft in den Medien hat dazu geführt, dass Wahrheit und Dichtung kaum mehr voneinander zu unterscheiden sind. In dieser Welt, in der geheimnisvolle Wissenschaftler unglaublich komplexe Maschinen bauen, die eh KEIN NORMALER MENSCH mehr verstehen kann - so wie der LHC am Cern zum Beispiel -, in dieser Welt scheint doch alles möglich, oder? Was also spricht gegen die Mutter aller Verschwörungen? SIE belügen den Mann auf der Straße doch eh die ganze Zeit?

Gegen diesen obskurantistischen Unfug hilft Transparenz, hilft Genauigkeit und - bedauerlicherweise - die Mühe des eigenen Denkens. Echte Wissenschaft ist nicht nur eine Zirkusarena, in der ein paar Freaks eine abgefahrene Show aufführen. Da werden die Tricks eigentlich sogar erklärt. Man muss es nur wissen wollen. Das ist der Unterschied. (wst)