re:publica: Kampf dem Blogger-Mythos

Die etwas andere Konferenz über das Leben im Netz will ohne die "Von-oben-Herab-Perpektive" klassischer Web 2.0-Jubeleien, aber auch ohne intellektuelle Überheblichkeit akademischer Veranstaltungen den Alltag der Blogger reflektieren.

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Von
  • Detlef Borchers

Mit großem Zuspruch hat in Berlin die re:publica 07 begonnen, die etwas andere Konferenz über das Leben im Netz. Geplant als Konferenz für 300 bis 400 Blogger ohne die "Von-oben-Herab-Perpektive" klassischer Web 2.0-Jubeleien, aber auch ohne intellektuelle Überheblichkeit akademischer Veranstaltungen will die re:publica den Alltag der Blogger reflektieren. Das kommt offenbar gut an: Mit 700 Teilnehmern, davon 80 bis 90 Prozent aktive Blogger, hat bereits die erste Konferenz die Kapazitätsgrenzen des Veranstaltungszentrums "Kalkscheune" erreicht. Die von Netzpolitik und Spreeblick veranstaltete Konferenz startete sinnigerweise mit einem sehr akademisch gehaltenen Vortrag des Soziologen Volker Grassmuck, Veranstalter der intellektuellen Konferenz-Spielart Wizards of OS. Erst mit einem Vortrag des Bamberger Soziologen Jan Schmidt von der Forschungsstelle neue Medien gab es Blogfutter: Schmidt machte sich den Spaß, die "Mythen der Blogosphäre" zu entlarven.

In seinem vom Blatt abgelesenen Vortrag zur Geschichte der Wissensallmende versuchte Volker Grassmuck, den Bogen vom Gerücht als erstem Massenmedium über den Buchdruck (Gutenberg-Galaxis), den Funk (Tesla-Galaxis) bis zum Internet (Turing-Galaxis) zu schlagen. So zog er Parallelen zwischen der Anrüchigkeit des Gerüchts bis zu der Art und Weise, wie heute dem anrüchigen Internet begegnet wird. Der Parforce-Ritt durch die verschiedenen Felder der Kommunikationswissenschaft und des Medienrechts wurde durch die Tatsache aufgebloggert, dass die Teilnehmer Live-Kommentare per SMS schicken konnten, die auf einer zweiten Leinwand eingeblendet wurden. Das war nicht nur eine gelungene Illustration des von Grassmuck beschriebenen "neuen Zeitverhältnisses der Neuen Medien", sondern hielt auch die rund 300 Zuhörer wach. "Wir brauchen Rhetorik-Kurse für Soziologen", forderte ein Teilnehmer, während prompt Grüße an die Konferenz aus Deutschland eintrudelten, weil die Telefon-Nummer auf Flickr veröffentlicht wurde. "Wir haben gerade erst angefangen, uns im Offenen zu orientieren", machte Grassmuck den Zuhörern Mut, sich ihres eigenen Blogs zu bedienen und Inhalte unter Lizenzen zu veröffentlichen, die die Fallen des Copyrights vermeiden.

Blogger sind Nerds, übergewichtig und unrasiert, die unablässig daran arbeiten, eine Gegenöffentlichkeit zu verbreiten, während gleichzeitig die meisten Blogs irrelevant sind, weil sie nur Katzen- und Strickpullover-Content bieten: Auf diese völlig verfehlte Mythologie, eine stark verzerrte Sicht der Blogosphäre ging Jan Schmidt in seinem Vortrag (PDF-Datei) ein. Die falsche Definition der Blogger als Nerds kommt Schmidt zufolge nur dadurch zustanden, dass unter den Top 100 der Blogs in Deutschland computeraffine Blogs meinungsführend sind. Tatsächlich bloggen deutschlandweit genausoviele Männer wie Frauen, deren "persönliche Öffentlichkeiten" sich nicht in den Relevanzmessern wiederfinden lassen. Auch die Rede vom Blogger als Teil einer Gegenöffentlichkeit ist zumindest für Schmidt völliger Unsinn: Bei der Verlinkung und Kommentierung von Nachrichten orientierten sich Blogger dermaßen an klassischen Massenmedien wie heise online oder Spiegel Online, dass schlicht nicht von einer hergestellten Gegenöffentlichkeit gesprochen werden kann. Überhaupt müsste Schmidt zufolge die Blogosphäre davon Abstand nehmen, manche Spielarten von Blogs als "irrelevant" zu bezeichnen, weil sie "Katzencontent" verbeiten. "Was bloggen ist, wird täglich neu ausgehandelt", lautete das Plädoyer des Forschers, der im "Long Tail" in den zahlreichen kaum beachteten Blogs eine Chance für größere Kommunikationsvielfalt sieht. (Detlef Borchers) / (jk)