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Was war. Was wird.

Meins, meins! Sind es unterdrückte Nachrichten oder unterlässt man lieber manche Meldung, weil sie zu albern und gar nicht zu verstehen ist, beim besten Willen nicht? Für so manchen ist das Web halt noch schlimmer als ein Misthaufen, bedauert Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Mancher mag manche  Musik nicht, mancher versteht sie nur nicht. Mancher findet Nachrichten doof, die er nicht versteht, und mancher mag manche Nachrichten nicht, weil er sie versteht. Und dann gibt es auch wieder Nachrichten (aber keine Musik), die so gaga sind, dass sie kein Nachrichtenredakteur der Welt nehmen würde. Da wäre die Geschichte der Renate Hammer. Die Lehramtsstudentin nahm an einem Weihnachtsmann-Wettbewerb teil und gewann, ganz ohne Oralsex mit, ähem, vielen Updates. Dabei trat sie nicht einmal als Weihnachtsmann an, sondern als Christkind. Und der Gewinn ist auch nicht eine Busfahrt nach Himmelthür, sondern ein Einkaufstripp nach Dubai, zu diesen Rentieren. Der Sieger der offenen internationalen Klasse fliegt nach Ägypten. Dort bauen sie wohl die Schlitten für die Christweihnachtsmannkindl, die zu den nicht wirklich aufgeklärten Kindlein kommen, die überall die Verwanzung 2.0 wittern.

*** Ich hatte einmal eine ähnlich gute Geschichte einem Redakteur in einem kleinen, feinen Verlag am Rande der norddeutschen Tiefebene angeboten. Ich wollte über eine Softwarefirma berichten, die ein fehlerfreies Programm zum versprochenen Lieferdatum verschickte, komplett mit einem gebührenfreien Telefon-Support und kostenlosen Upgrades. Der Redakteur lehnte ab. Räuberpistolen und unglaubwürdige Geschichten hätten bei Onkel Heise nichts zu suchen. Keine Räuberpistolen! Nur seriöse Meldungen wie "Microsoft blafasel Linux". Nun ja, eine Tickermeldung mit diesem Titel ist niemals freigeschaltet worden und gehört zusammen mit Preziosen wie "Kölsch und Alt an einen Tisch" und "Bernd, das Festplattenbrot" zu den 1911 untoten Meldungen, die sich im Heise-CMS finden lassen. Am Dienstag übersprang der Zähler nach dieser Meldung die magische 100.000er-Marke. Was Grund genug war, sich einmal mit den Nicht-Nachrichten zu befassen, die mehr sind als das übliche "Das ist ein Test".

*** Die Untoten sind, das kennen wir ja aus den Splatter-Filmen, die sprechenden Toten, die Wiederkehr des Verdrängten, die Synkopen des Redakteurs, die Vapeurs der Tympanie, blafasel und faselbla zugleich. Ein Titel wie "Blaues Heise-VIP-Armband für die CeBIT-Standparty – eine reklamierbare Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte?" zeigen glasklar, wie groß das moralische Zwicken der Schuftenden im Bergwerk der Nachrichten ist, ehe sie die Schere im Kopf ansetzen. Angesichts der aktuellen Debatte um die Sekte der Scientologen, die Deutschland clearen wollen, ist es ganz aufschlussreich, dass eine Nachricht nicht erscheinen konnte, die einen Prozessor als "operierenden Thetan" bezeichnete.

*** Manchmal passiert es aber doch. Dann wird getickert, was besser weggetackert worden wäre, etwa der Ruf der Linken nach dem Staatsanwalt, der eigentlich eine kuschelige kleine Debatte sein sollte. Alles irgendwie nach dem WG-Motto: "Ich wollte das echt einmal ansprechen, du." Wobei die erste Fassung der kämpferischen Pressemeldung vom begonnenen Kampf eigentlich besser gefiel: Ja, es gibt auch das Reich der untoten PR, und dort lesen wir dann, dass sich Frau Katina Schubert und Vertreter von Wikipedia sich "angerochen haben". Riechen wir hier Verrat, Schweiß oder Schanel? "Bitte sperrt mich, ich bin ein Admin-Trümmer", scheint noch der passende unterbliebene Tickertitel dafür zu sein.

*** Nichts krönt eine Nicht-Nachricht so sehr wie eine Nicht-Sparte, in der sie erscheint. In trauter Nachbarschaft zum Newsticker ist bei Telepolis in dieser Woche die Sparte Übermensch-News ans Netz gegangen. Unter der Kategorie, die von der Ablösung des Menschen künden soll, vom langen Marsch auf die IT-Singularität, lesen wir die Nachricht, dass Schöne Vorteile bei Bewerbungsgesprächen haben. Soso. Auch für Übermenschen gilt dieses "Sex sells", das tröstet, genau wie die Vorstellung, dass Herzinfarktpatienten die wahren Übermenschen sind. Da hebe ich glatt ein gutes Glas Rotwein auf meinen Schrittmacher und kippe das zweite zum Wohl auf meine Muckibude hinterher. Damit gehören die neuesten Nachrichten von der elektronischen Gesundheitskarte in diese Reihe. Schließlich sollen die Infarktler und weitere Gesundheitsgefährder ihre Karten in Fitness-Studios stecken und damit im "Disease Management Program" dokumentieren, dass sie aktiv an ihrer Gesundheit arbeiten.

*** Wie sieht es mit einem Programm aus, das Mütter dazu verpflichtet, die Anwesenheit, die Gesundheit und vielleicht noch die Wohlerzogenheit ihrer Kinder bruchlos zu dokumentieren? Das scheinheilige Geröchel über die Toten von Darry mitsamt der Forderung nach Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht und der Abschaffung des Datenschutzes vernebelt das Nachdenken. Was ist in einer Gesellschaft los, die bereit ist, über 10 Milliarden Euro in den Ausbau einer IT zu stecken, die zuvorderst den Krankenversicherungen und Gesundheitsämtern die Arbeit erleichtert, während Mittel für die Ärmsten nach einem unsäglichen Hartz-IV-Gesetz zusammengestrichen werden? Ich weiß, dass es reichlich populistisch klingt, aber wie wäre es denn mit einem Slogan wie "Demokratieschutz vor Datenschutz", komplett mit einer Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht für Politiker, frei nach dem Motto "Und was raucht ihr?"

*** Wo bleibt das Positive, wo die weihnachtliche Besinnung? Wo die Sicherheit, dass sich hinter einem Rauschebart nicht eine Lehramtsstudentin verbirgt? Hat G^tt nicht etwa das Internet gerettet, wie die Musen jubeln? Müssen wir ihm nicht darum dankbar sein, komplett mit Kerzen, Weihnachtsbaum und dem lausigen Fraß beim Chinesen? Mit einem grobmotorischen Angriff ihres bestallten Großkritikers Graff hat die Süddeutsche Zeitung das besagte Internet als Web 0.0 verhackstückt. Als ungepflegten Raum, in dem Blogger noch eine Meinung haben, Trolle ghoulen und die Foltervideos der CIA auftauchen. Die ganze Anarchie geht Graff nicht auf den Sack, aber er muss es halt schreiben in diesen schweren Zeiten, wo Kommentare moderiert oder des Nachts und am Wochenende auch mal abgestellt werden müssen. Hinter der Süddeutschen steckt manchmal wirklich kein kluger Kopf, sondern ein zusammenngekniffener Arsch, in dem es gewaltig flatuliert. Idiotae, starrsinnig an ihrer Wahrheit Klebende sind bekanntlich immer die anderen.

*** Illustriert ist der süddeutsche Internet-Amoklauf mit der bekannten Grafik von Albert Einstein, der die Zunge herausstreckt. Natürlich nicht als Foto, sondern in Pixelform. Zahllose Bloggermenschlein, Trolle, Fischhinüberreicher, Barcamp-Groupies und ähnliche Zeitgenossen bilden das Bekannte von Einstein. Die Graffschen Blähungen passen bestens zu einer Zeit, in der ein moderierender Schönling neuer Spiegel-Chef wird und nicht der hoch gehandelte Heribert Prantl von der SZ, den die letzten verbliebenen Journalisten in der Brandwiestebude gewünscht hatten. Herr Graff hat sich unterdessen eigentlich ganz bestens für die Schleimspur Cum (Casati, Uslar, Matussek) empfohlen, die beim Spiegel "Feuilleton" genannt wird.

Was wird.

Wer diese kleine Wochenschau liest, wird wissen, dass ich an meiner Heimatstadt Hannover hänge. Für mich war die Zeit des Roten Punktes der Höhepunkt meiner Jugend, getoppt nur noch durch die Entdeckung des ^^^ in einem "Schülerfreiraum" der Herschelschule. Nun kommt das Gegenteil nach Hannover, nennt sich IT-Gipfel und ist gänzlich unsexy und ganz gewiss kein Gipfel, denn dafür ist wahlweise der Deister oder der Kaliberg zuständig. Bitte, Hannover ist eine Stadt, in der Linke einen Gewerbebetrieb für politische Satire anmelden mussten und Exkanzler Schröder nur rot war, wenn er Currywurst am Steintor aß.

Vielleicht ist Düsseldorf besser, doch wenn ich den besten Idiot vor Ort so lese, habe ich meine Zweifel. Nicht einmal eine Flussbeleuchtung in Rot haben die Altbiersäufer hingekriegt. Passend zum IT-Gipfel wird dort der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) im Lido (hehehe) im Handelshafen die "Akademie der Digitalen Wirtschaft" einweihen, zu der es leider noch keinen vernünftigen Link gibt. Der Abschluss ist jedenfalls Dipl.Int.

So fängt die Woche an. Sie endet in Berlin mit einer Veranstaltung der frisch gegründeten German Privacy Foundation, die sich über das Ende der Privatsphäre aufregt. Zwischendrin muss noch ein Termin in Darmstadt nachgetragen werden, weil sich dort Forensiker über den Bundestrojaner verständigen wollen. Ist er "notwendig zur Gefahrenabwehr oder notwendig abzuwehrende Gefahr", das ist die Frage. Denn in diesem Punkte muss ich dem schäumenden Graffiti-Pamphletisten Recht geben: Sollen wir uns von jeder Idiotie in die Zukunft führen lassen? Was sind schon 100.000 Fliegen? (Hal Faber) / (jk)